Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

124 Ferdinand Hauptmann mit den Serben getreten war. Der Kampf um den überwiegenden Einfluß in Serbien wäre im XIX. Jahrhundert nicht so zu Ungunsten Österreichs ausgefallen, wenn dieses nicht selbst seine Stellung bei den Serbein durch Metternichs Orientpolitik untergraben hätte, die aus Furcht vor revolu­tionären und nationalen Umtrieben den Fortbestand der Türkei wünschte und demgemäß die wiederholten Anträge des Karadorde zur Einverleibung Serbiens abschlug 4). Als sich Österreich in den 60er Jahren erneut und aus­schließlicher dem Oriente zuzuwenden anfing, fielen daher solche Gedanken auf wenig aufnahmsfähigen Boden. Bis zum Tode des Fürsten Mihajlo setzte Rußland seine ganze Hoffnung auf Serbien als Zentrum seines Einflusses auf dem Balkan. Ignatiev, der russische Botschafter in Konstantinopel, hatte sich redlich bemüht, die Allianz der Balkanvölker zustandzubringen, und er dachte, sie gemeinsam mit dem Aufstand auf Kreta in Bewegung zu setzen5). Eine Trübung des serbisch-russischen Verhältnisses brachte die Entlassung Garasanins, an­dererseits der im gleichen Jahre (1867) in Moskau abgehaltene allslavische Kongreß, auf dem sich unter allen Slaven einzig die Serben energisch gegen die Annahme der russischen Sprache erklärten, während die Bulgaren die einzigen waren, die voll dafür eintraten ®). Der Tod Mihajlos und die darauf folgende innenpolitische Tätigkeit der Regentschaft schwächten die russi­sche Hoffnung auf Serbien noch mehr ab, und letzteres verscherzte sich überdies noch durch liberale Verfassungspläne die russische Gunst, so daß Gorcakov im Spätherbst 1868 offen seine Mißbilligung in Belgrad aus­drückte, weil die Regentschaft mit der traditionellen Politik breche, die der russischen Unterstützung gewiß gewesen sei. Es könne geschehen, daß Rußland deshalb den Schwerpunkt des Südslaventums aus Serbien in ein anderes Land verläge. Ristic gab zwar beruhigende Erklärungen7), Ruß­land aber war mißtrauisch geworden und wandte sein Wohlwollen Monte­negro und den Bulgaren zu8). Die Verlegung des österreichischen Schwerpunktes auf den Balkan drängte die russische Politik weiter in dieser Richtung, da Rußland vor den Österreichern immer mehr gegen den östlichen Teil der Halbinsel zurück­weichen mußte. So bedeutete Reichstadt (österreichisch-russische Ab­machungen vom 8. VII. 1876) schon einen weiteren Abbau der früheren Pläne. Die Russen verzichteten damit auf ein Großserbien — l’établissement d’un grand état compact slave ou autre est exclu —, mußten aber dann bei den Verhandlungen über die österreichisch-russischen Konventionen vom 15. I. 1877 bemerken, daß ihr Einfluß auf dem westlichen Balkan überhaupt dem Ende zuging. Andrássy beanspruchte als Preis für die Neutralität im russisch-türkischen Kriege nicht nur Bosnien, das ihm Gorcakov, gemäß seiner Auffassung der Reichstädter Vereinbarungen, anbot, sondern auch die Hercegovina, und selbst den Sandak von Növi Pazar. Auch die neutrale Zone zwischen beiden Großmächten war viel ausgedehnter, als es Rußland wünschte, und Gorcakov mußte auch hier insoferne nachgeben, als eine

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