Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

200 Ferdinand Hauptmann b) Der Umschwung in Österreich-Ungarn. Es war zur Zeit der Zusammenkunft in Friedrichsruh, als Graf Kálnoky, der Botschafter in Petersburg, die Form eines Privatschreibens an Hay- merle benützte, um sich über die allgemeine Lage und die österreichische Politik auszusprechen. Er deutete den Plan Saburovs (Erneuerung des Drei-Kaiser-Bündnisses) dahin, daß Rußland die Balkanverhältnisse weiter­treiben und seine panslavistischen Ziele durchsetzen wolle, ohne dabei offen die Berliner Beschlüsse zu verletzen. Den Hebel zur Zertrümmerung des türkischen Reiches dachte Saburov bei der Frage der militärischen Be­setzung der Balkanpässe anzusetzen. Bei der auch ihm bekannten Tatsache, daß Bismarck allem zuzustimmen geneigt war, worüber sich Österreich und Rußland einigten, wollte er Österreich, wie Kálnoky meinte, durch das Schildern einer trüben Situation mürbe machen. Falls die Türkei nämlich nicht auf ihr Recht der militärischen Besetzung der Balkanpässe verzichten würde, entstünden im nächsten Frühjahr ein Aufstand der Bulgaren und es gäbe in diesem Falle „kein Mittel, die aus Furcht vor den Türken sich zum Widerstande rüstenden Bulgaren noch länger zurückzuhalten“, infolge­dessen wären dann „grauenhafte Blutbäder und endlose politische Com- plikationen ünvermeidlich“. Jedoch auch bei günstiger Erledigung wäre der Status quo, d. h. die Teilung von Ostrumelien und Bulgarien, wie Sabu­rov zu Kálnoky sagte, nur noch einige Zeit verbürgt, der Zerfall der Türkei sei unabwendbar, weshalb man schon bei Zeiten diese Eventualität erwägen müsse. Obwohl Kálnoky von einem möglichen Geschäft mit Rußland auf dieser Basis nicht angenehm berührt schien, fand er wegen der entschieden türken­feindlichen Politik des englischen Kabinetts ein ablehnende Haltung Öster­reichs nicht gut am Platze. Es könnte dann geschehen, daß England diese christliche Emanzipation in der Türkei unterstützen würde. Frankreich und Italien würden nichts dagegen einwenden, und so würde die ganze Sache gegen Österreich durchgeführt werden. Er glaube zwar nicht an das Vor­walten der russischen Absicht, mit England gemeinsam im Orient vorzu­gehen, sondern vielmehr an die mit Österreich; die Möglichkeit einer rus­sisch-englischen Abmachung bestand aber immerhin und so fand Kálnoky es für notwendig, daß in diesem Falle Österreich nicht durch ablehnende Haltung Rußland in englische Hände treibe. „Unser Staatsinteresse dürfte jedenfalls besser gewahrt werden können, wenn wir mit die Hand bei der endlichen Lösung dieser hochwichtigen Fragen haben, als wenn sie etwa ohne uns und dann sicher gegen uns gelöst werden“ S4). Die Ansicht von der unbedingten, wenn auch nicht augenblicklichen Not­wendigkeit einer Verständigung mit Rußland, teilte mit Kálnoky auch sein Chef Haymerle. Aber dieser Schritt fiel beiden schwer, bedeutete er doch das allmähliche Verlassen der Politik Andrassys, die Haymerle weiterzu­führen dachte55). Andrássy hatte seit seinem Amtsantritt an einem engen

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