Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

126 Ferdinand Hauptmann Idealisten sind, solange sie die bitteren Erfahrungen des Lebens nicht eines Besseren belehrt haben. Die jungen Staaten haben das Bedürfnis, gerade so, wie die Knaben und Mädchen sich an die Eltern, an Verwandte, an die Vormünder, an die Freunde des Hauses, anzulehnen, um ihren Schutz und Hilfe bis zur Selb­ständigkeit sich zu erhalten. Sie glauben an den Altruismus, an die Liebe, an die Gerechtigkeit ihrer Beschützer und Lehrmeister. Die Balkanier, welche fünf Jahrhunderte unter dem Joche der Türkei keine beneidens­werte Existenz geführt, haben während ihrer Sklaverei und besonders bei ihrem Erwachen zum neuen nationalen Leben felsenfest auf die großen Worte der europäischen Politik vertraut“ 12). Als zu Anfang des Jahres 1878 in Serbien immer mehr die Gewißheit überhandnahm, daß Rußland im Vertrage von San Stefano Serbien schwer benachteiligt habe, konnten die österreichisch-ungarischen Vertreter in Belgrad, Fürst Wrede, und seit Dezember 1878 Freiherr von Herbert, vom Stimmungswechsel in den serbischen politischen Kreisen eindrucksvoll be­richten. Die ungleiche Behandlung, die Rußland durch mäßige Vergrößerung Serbiens, weitgehende Erweiterung Montenegros und besonders durch die Errichtung eines Großbulgariens zur Schau stellte, hatte Serbien auf das Peinlichste berührt. Insbesondere wandte sich die öffentliche Meinung auf das Entschiedenste gegen den neuen Rivalen — Großbulgarien. Erst allmäh­lich übertrug man diese Gefühle auch auf den wahren Urheber dieser Konstellation — auf Rußland13). Da entdeckte man auf einmal, daß Ruß­land auf dem Balkan eigentlich weniger die Interessen der slavischen Massen, als seine eigenen Bestrebungen nach Konstantinopel vertrat. Be­sonders die russischen Umtriebe in Bulgarien, der russische Widerstand gegen die serbischen Gebietsverg'rößerungen, hatten den traditionellen Gefühlen für Rußland in Serbien einen bedenklichen Stoß versetzt. So konnte Wrede seiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daß man in den serbischen Regierungskreisen bezüglich der neuen Grenze jede Hoffnung verloren habe und nicht einmal mehr mit Sicherheit auf die Erhaltung von Nis rechne. Die Mißstimmung über das russische Verhalten wuchs täglich. „An öffentlichen Orten wird gegen Rußland eine Sprache geführt, wie sie vor einem Monate kaum denkbar war“, und es war wenigstens für den momentanen Grad der Erbitterung äußerst charakteristisch, daß man sich im breiteren Publikum sogar zu phantastischen Plänen einer bewaffneten Abwehr gegen Rußland verstieg14). In Anbetracht der speziell serbischen Verhältnisse, denenzufolge in den breiten Massen die Anhänglichkeit an Rußland schon wegen der Gleichheit der Religion sehr entwickelt war, werfen die Berichte über die angeblich auch schon im Volke umsichgreifende Abneigung gegen Rußland ein sehr bezeichnendes Licht auf die Stärke des politischen Umschwunges, der damals in Serbien vor sich ging15).

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