Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)

SANTIFALLER, Leo: Die älteste Originalurkunde des Österreichischen Staatsarchivs

Die älteste Originalurkunde des Österreichischen Staatsarchivs 37 stelle, also einer Kanzlei, können wir annehmen, wenn die Urkunden eines Ausstellers bestimmte einheitliche Formen zeigen und ins­besondere dann, wenn mit Hilfe von Schrift- und Diktatvergleich nachgewiesen werden kann, daß bestimmte Schreiber und Diktatoren an der Herstellung einer größeren Anzahl von Urkunden desselben Ausstellers beteiligt waren und daher längere Zeit an der betreffen­den Beurkundungsstelle tätig gewesen sind *). Daß es bereits bei Herrschern des frühen Mittelalters und ins­besondere bei den ersten karolingischen Königen eine mehr oder weniger organisierte einheitliche Urkundenherstellung, also eine Kanzlei im oben angegebenen diplomatischen Sinne gegeben hat, beweisen die überlieferten Urkunden, die verschiedenen Gruppen gleichartiger Hände und gleichartiger Diktate, die Angaben der Rekognitionszeile und der tironischen Noten sowie historiographische Nachrichten. Und wenn es sich auch bei diesen Einrichtungen meist noch nicht um eine wirklich festorganisierte Behörde im modernen Sinne, also um ein Büro von Beamten und Angestellten mit festen Kompetenzen handelt und wenn auch das Wort Kanzlei, u. zw. zunächst in der Form cancellario, erst seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Gebrauch kommt, so kann man aus den oben angegebenen Gründen meines Erachtens das nun einmal in der Urkundenforschung gebräuchliche Wort Kanzlei auch bereits zur Bezeichnung derartiger Institutionen des frühen Mittelalters ver­wenden 1 2). Ludwig d. Fr. 3) hat wohl die in den letzten Lebensjahren Pippins eingeführte und dann von Karl d. Gr. übernommene Kanzlei­organisation beibehalten; sie wurde aber unter Ludwig d. Fr. weiter­entwickelt und tritt in den Quellen dieser Zeit allmählich immer klarer in Erscheinung. Das seit Pippin durchwegs geistliche und wohl stets der Hofkapelle, d. h. der königlichen Hofgeistlichkeit, angehörige 4) Kanzleipersonal gliedert sich nunmehr in drei Stufen: der Kanzleivorsteher, der Stellvertreter des Kanzleivorstehers und 1) Vgl. Redlich, Einleitung, S. 21 f.; Santifaller, Urkundenforschung, S. 35. 2) Vgl. Kehr, P.: Die Schreiber und Diktatoren der Diplome Ludwigs d. D. In: Neues Archiv, Bd. 50 (1935), S. 28; Kehr, P.: Die Kanzlei Ludwigs d. D. In: Abhandl. d. Preuß. Akademie der Wissenschaften, 1939, Phü.-Hist. Kl. Nr. 1, S. 9; Klewitz, Hans-Walter: Cancellaria. Ein Beitrag zur Geschichte des geistlichen Hofdienstes. In: Deutsches Archiv, Bd. 1 (1937), S. 44 ff. 3) Vgl. zum folgenden Sickel, Acta 1, 8. 72 ff.; Erben, S. 4411.; Bresslau, UL. 1, S. 369 ff.; Kehr und Klewitz, a. a. O. 4) Siehe vor allem Klewitz, Cancellaria, S. 44 ff., 50 ff.

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