Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)
GOLDINGER, Walter: Archivwissenschaftliche Literatur der Jahre 1948–1951
Rezensionen 329 des Werkes gehört die Darstellung des Aufenthaltes Gentz’ im preußischen Hauptquartier vor der Schlacht bei Jena (S. 175 ff.). In den folgenden Jahren der französischen Vorherrschaft lebt der als englischer Agent Geächtete in erzwungener Muße meist in Prag. Bei der eingehenden Schilderung der Reformtätigkeit des Freiherrn von Stein hätte auch die Politik Österreichs unter Stadion nach den Ergebnissen der Arbeit H. Rösslers (Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung, 2 Bde., Hamburg 1940) eine gerechtere Würdigung verdient. Die schreckliche Niederlage, mit der das unter Gentz’ publizistischer Mitwirkung so hoffnungsfroh begonnene Wagnis des Jahres 1809 endete, dürfte bei dem durch jahrelange Mißerfolge Zermürbten den inneren Bruch, die Zerstörung der Selbstgewißheit seiner Jugend bewirkt haben. Während er es bisher verstanden hat, seine publizistische Tätigkeit trotz der meist von englischer Seite zufließenden Gelder mit seiner Überzeugung im Einklang zu halten, läßt er sich jetzt, wie etwa mit dem ,,Mémoire sur la Paix Maritime“ von 1810 zu Handlungen und Äußerungen verleiten, denen er innerlich nicht mehr zustimmen kann. Doch gelingt es ihm, die immer enger werdende geistige Gemeinschaft mit Metternich auf der von ihm schon seit je verfochtenen Idee des Gleichgewichts zu gründen. Darum unterstützt er auch, als sich Europa zum Sturze Napoleons anschickt, die zurückhaltende Politik seines Vorgesetzten. Wenn auch seine Abneigung gegen die ,,Teutomanie“ von der auf die Gegenwart bezogenen Einstellung des Verfassers überschätzt wird, so war doch der rohe Ungestüm der Napoleon feindlichen Volkskräfte der intellektuellen Natur Gentz’ zuwider. Als sich Österreich endlich dem Befreiungskrieg anschließt, rät gerade er zur Mäßigung, da er bereits inNapoleon eine konservative Macht gegenüber den ungewissen Größen unter den eigenen Alliierten erblickt. Gut gelungen ist M. die Schilderung der vornehmen Art, in der Gentz zuletzt seinem gestürzten Todfeind gerecht wird (S. 253 ff.); einer der sympathischesten Züge dieses umstrittenen Charakters. Die folgenden Ausführungen über Gentz’ Rolle am Wiener Kongreß sind wegen der mangelhaften Kenntnis der neueren Literatur zum Teil überholt und ungenau. An dieser Stelle wären die Arbeiten Mayrs und im Hinblick auf die Gegensätze zu Preußen mit kritischer Einschränkung auch die Untersuchungen K. Griewanks heranzuziehen gewesen. Auf S. 306 f. wird der Einfluß Gentz’ beim zweiten Pariser Frieden gegenüber dem Metternichs doch wohl zu stark betont. Hervorgehoben zu werden verdienen M.s Ausführungen über die Rechtfertigung der neuen europäischen Ordnung durch Gentz gegen die Angriffe von Görres (S. 311 ff.). Mit Recht faßt M. den letzten Teil seiner Biographie nach dem Wiener Kongreß kürzer als den vorhergehenden, denn wenn auch die Jahre der Heiligen Allianz für Gentz die politisch einflußreichsten waren, so lag seine große persönliche und historische Leistung vorher in seiner Rolle als europäischer Demosthenes im Kampf gegen Napoleon. Die Tätigkeit als Sekretär Europas auf den folgenden großen Kongressen, die ihm das abträgliche Urteil der Nachwelt eingebracht hat, sein Kampf gegen die nationalen und demokratischen Strömungen der Zeit, deren Sieg er immer deutlicher voraussah, führt zu der für die Beurteilung dieses Lebens wesent-