Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 2. (1949)

LHOTSKY, Alphons: Handschriftenausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek anläßlich des Ersten Österreichischen Archivtages. Handschriftliche Denkmäler der Geschichte Österreichs

8 « Alphons Lhotsky Einem von mehreren Seiten geäußerten Wunsche entsprechend, seien nun die Handschriften in dem gedanklichen Zusammenhänge besprochen, in dem sie gewählt wurden. An erster Stelle steht eine kulturgeschichtliche Quelle höchsten Ranges, wie sie selbst Italien für jene Zeit nicht aufzuweisen hat: 1 die Vita sancti Severini. Ein Jünger des schon seinen Zeitgenossen so rätselhaften Mannes, der der verängstigten Bevölkerung des durch die ständigen Einfälle der Rügen schwer heimgesuchten Noricum Ripense nicht nur als Tröster in der Not des Alltages, sondern als geschickter und großzügiger Organisator und Vermittler erschien (j- 482), hat viele Jahre später in Italien ein sprachlich schlichtes, aber um so inhaltreicheres Bild vom Wirken seines Meisters ent­worfen (511). Schon am Beginne des 10. Jahrhunderts ist eine Hand­schrift dieses Werkes urkundlich in Passau bezeugt (Monumenta Boica XVIII/1 p. 200: Vita s. Severini confessoris) und wahrscheinlich von dort aus ist der Text in österreichische Klöster gelangt, wo er bereits im 12. Jahrhundert eifrig interpretiert wurde und sogar auf die Politik der Babenberger einen nicht unwesentlichen Einfluß geübt zu haben scheint (vgl. Alphons Lhotsky, Ostarrichi, Wien 1947, S. 17). Allerdings sind die österreichischen Handschriften der Vita nicht gut, zum Teil sogar unvollständig, und so begreift man das Entzücken Thomas Ebendorfers, als er 1452 in Neapel zum ersten Male vollständige und gute Überlieferungen antraf (vgl. Georg Leidinger, Untersuchungen zur Passauer Geschichtsschreibung, Sitzungsberichte der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch­philologisch-historische Klasse 1915, 9. Abhandlung, S. 14). Die hier gezeigte Wiener Handschrift cod. n. 329 ist eine sehr saubere Pergamenthandschrift des 12. Jahrhunderts, wahrscheinlich italienischer Herkunft, zu der ein Leser des 15. Jahrhunderts u. a. eine schon im 12. Jahrhundert bei Otto von Freising nachweisbare Fehlinterpretation — Favianis = Wien — notiert hat. Der codex hat sich wohl schon im 16. Jahrhundert in der Wiener Palatina befunden, denn der Präfekt Sebastian Tengnagel (1602/08 bis 1636) hat ebenfalls handschriftliche Anmerkungen darin hinterlassen. Übrigens soll sich schon Wolfgang Lazius (um Mitte des 16. Jahrhunderts) dieser Überlieferung bedient haben. Eben damals, Augsburg 1546, hat Marcus Welser die erste Druckausgabe nach einer anderen Handschrift veranstaltet, doch sollte die Vita am Beginne des 17. Jahrhunderts in einer von Job Hartmann Freiherrn von Enenkel und Hieronymus Megiser geplanten Ausgabe österreichischer Geschichtsdenkmäler nach dem vorliegenden

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