Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

Gebiete ist bisher so wenig geschehen, sind die vor uns stehenden Aufgaben so vielfältig, daß jeder Anfang, so auch der, der in diesen Zeilen skizziert wird, nur als Versuch betrachtet werden kann. Das Wesen, der zentrale Gedanke dieses Ver­suches ist: in einem sehr kritischen Abschnitt der Menschheitsgeschichte (der vielleicht eben deshalb für derartige Untersuchungen sehr geeignet ist) die Ver­bindung zwischen der Amtsführung (bzw. konkreter: der Tätigkeit des höchsten Regierungsorgans der Österreichisch-Ungarischen Monarchie) und der gesell­schaftlichen Wirklichkeit an den augenfälligsten Punkten zu erfassen und diesen Zusammenhang auf eine Formel zu bringen, die verallgemeinert werden kann. 185 Bei der Untersuchung der Tätigkeit des gemeinsamen Ministerrates der Öster­reichisch-Ungarischen Monarchie während des Weltkrieges bin ich bestrebt, diese Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Dies ist die Frage, die ich bereinigen möchte, bevor ich die Funktion des gemeinsamen Ministerrates während des ersten Weltkrieges im Lichte unserer Quellen, in erster Linie der Ministerrats­protokolle selbst zu bestimmen versuche. Die zweite Frage, deren Bereinigung ich zu Beginn der Erörterungen für not­wendig hielt, ist das Problem der Person Berchtolds. Wie bereits bei der Charakte­risierung des Machtbereichs des Ministers des Äußern, der das Amt des Vor­sitzenden des gemeinsamen Ministerrates innehatte, erwähnt wurde, erklären nicht die persönlichen Gegebenheiten Berchtolds, daß das Gewicht des Amtes des ersten Staatsmannes der Monarchie in einem solchen Maße angewachsen war, das an die Macht der führenden Politiker des Zeitalters des Absolutismus erinnert. Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll noch hinzugefügt bzw. nach­drücklich betont werden, daß Berchtold lediglich Vertreter, Vollzieher jener Politik war, die die Österreichisch-Ungarische Monarchie und mit ihr ganz Europa auf den verhängnisvollen Weg drängte. Eben die eigenartige Konstruktion des Staatsapparates ermöglichte es — ich habe eben auf die Eigenart dieser Konstruk­tion verwiesen —, daß dieser unbegabte, leichtsinnige, konzeptlose Staatsmann in den Gang der Ereignisse in entscheidender Weise eingreifen konnte. Diese Zeilen haben nicht die Aufgabe, den gesellschaftlichen Hintergrund der »Berchtold­schen« Politik zu klären, sondern sollen jene Regierungseinrichtung untersuchen, in denen diese Politik zur Geltung kam. Als vom Ausbruch des Weltkrieges die Rede war, sahen wir in Berchtold den Mann, der den Mechanismus des Weltkrieges in Gang gesetzt hatte, unabhängig davon, ob die Monarchie erfolgreichere Staatsmänner mit mehr Konzeption hatte (und sie hatte solche). Man kann natürlich die Frage stellen, ob diese Anschauung richtig ist. Ich halte sie für richtig. Beobachten wir doch den Mechanismus des gemeinsamen Ministerrates, des bedeutendsten Organs der Staatskonstruktion der Monarchie. Im Interesse, im Dienste welcher Gesellschaftsklasse Berchtold stand und handelte, so wie es die Akten, die Ministerratsprotokolle und andere Quellen zeigen, zu analysieren, ist nicht unsere Aufgabe, denn wir müssen unser Augenmerk in der Arbeit dieser, sagen wir primären Kräfte auf die Untersuchung der sekundären Wirkungen konzentrieren. Was die primären Kräfte anbelangt, möge der Hinweis genügen, daß die Teilnehmer der gemeinsamen Minister­konferenzen, wenn sie auch nicht alle einer Gesellschaftsklasse angehört haben, im

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