Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

werde und so die Vorteile, die militärischen Aktionen nur rasches Handeln sichern könne, nicht aufs Spiel zu setzen. 152 Die politischen Akte des Okkupationsjahres entstanden ohne meritorische Zusammenarbeit der parlamentarischen Organe der Monarchie. Der Turm von Babel, das Reichsparlament konnte bei der Formulierung der das Schicksal der Österreichisch-Ungarischen Monarchie entscheidend beeinflussenden Entschließun­gen tatsächlich nicht viel Schwierigkeiten bereiten. Im gemeinsamen Ministerrat fand jedoch eine wirkliche Debatte statt. Wie die Institution der Delegationen von Jahr zu Jahr immer mehr an Gewicht verlor, darüber könnte aus dem Material der dicke Bände füllenden Journale und Protokolle der ungarischen und österreichischen Delegationen für gemeinsame Angelegenheiten eine lange Reihe von Beispielen angeführt werden. Doch werden wohl auch einige genügen, um das Funktionieren und die Bedeutung dieses Teiles der Staatskonstruktion zu beleuchten. Aus einem Jahr, als die außenpolitischen Gegensätze innerhalb und außerhalb der Monarchie abermals bis zum äußersten gespannt waren : aus dem Jahr der Annexion Bosniens und der Herzegowina bzw. aus den Tagen vor dem Annexionsjahr. Öffentlich war noch keine Rede von der Annexion, als in der Sitzung der österreichischen Delegation am 21. Dezember 1907 unter anderen der kroatische Delegierte Bukovic das Budgetprovisorium kritisierte. Einleitend sagte er, den Mitgliedern der Delegation für gemeinsame Angelegenheiten sei es fast unmöglich, das Budget einer ernsten Kritik zu unter­ziehen, da sie ja gar nicht Zeit hätten, das Material zu studieren. Mit dem Jahres­voranschlag hätten sie sich nur einige Stunden befassen können, dabei fülle das Millionen betragende Militärbudget des Reiches dicke Bände. Eine gewissenhafte Durchsicht würde Tage in Anspruch nehmen. Zu einer eingehenden Beratung sei keine Zeit und die Delegierten könnten nur mit Ja oder Nein stimmen. Ähnliche Erscheinungen der letzten Jahre bewiesen eindeutig, daß die Institution der Delega­tionen zu einer leeren Formalität wurde. 1 ™ Der Abgeordnete Bukovió und alle, die sich in dem halben Jahrhundert nach dem Ausgleich ähnlich äußerten, hatten vollkommen recht. Bis zur Jahrhundertwende war die Bedeutung der Delegatio­nen, die schon im vorhinein nicht als parlamentarisches Gegengewicht zum höch­sten Regierungsorgan der Monarchie gedacht waren, gänzlich gesunken. Erstreckte sich dieser Schrumpfungsprozeß auch auf die anderen Institutionen des Habsburgreiches ? Wurde die Rolle des gemeinsamen Ministerrates, der sein Gegengewicht verloren hatte, nicht farblos? Wurde sein Wirkungskreis nicht eingeengt, verschob sich seine Funktion nicht auf andere Organe ? Kurz vor der obenerwähnten Sitzungsserie der Delegationen hatte Außenmini­ster Baron Aerenthal seine beiden gemeinsamen Ministerkollegen, den gemeinsa­men Finanzminister Baron Burián und den gemeinsamen Kriegsminister, Feld­zeugmeister Schönaich, sowie die Chefs der österreichischen und ungarischen Regie­rung, Baron Beck und Sándor Wekerle für den 1. Dezember 1907 in das Palais am Ballhausplatz zu einer Besprechung eingeladen. Die Aufzeichnung über die Besprechung 154 verrät schon in ihren Äußerlichkeiten dem viel, der in der Ausferti­gung der Schriftstücke, selbst so improvisierter Aufzeichnungen, nicht etwas von den Verhältnissen der Epoche Unabhängiges sieht. Aus dem Konzept bzw.

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