Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

Koalitionsregierung gedrängten oppositionellen ungarischen Führer den verstüm­melten Wirkungsbereich des gemeinsamen Ministeriums vervollständigt, aus ihm eine Regierung hätten werden lassen. Wenn nämlich die Kriegsverhältnisse, aus deren Zwangslage diese Bedingungen entstanden, nicht gleichzeitig auch jedwede Möglichkeit einer normalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zunichte gemacht hätten. Während des ersten Weltkriegs war der gemeinsame Ministerrat schon auf dem Wege, Regierung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, eine Reichsregie­rung zu werden. Die durch den Weltkrieg geschaffene Notlage war jedoch nicht so stark bzw. nicht so lange wirksam, daß sie die gegen den Reichsgedanken ge­richteten, negativen Kräfte jener politischen Überlegungen, aus denen das gemein­same Ministerium hervorgegangen war, hätte niederringen können. Schon des­halb nicht, weil diese Kräfte vom Jahre 1867 an bis zum Zusammenbruch der Monarchie, wenn auch von Zeit zu Zeit in veränderter Form, dennoch aber un­unterbrochen tätig waren. XI Im Ausgleichsgesetz wurden der Wirkungskreis, die Zuständigkeit des gemeinsa­men Ministerrates nicht positiv definiert. Nachdem wir gesehen haben, daß an diesem großen Negatívum nur die Zwangslage des Krieges hätte ändern können, die Friedensjahre dagegen eher die Vorstellungen begünstigten, von denen Deák bei der Schaffung des gemeinsamen Ministerrates geleitet worden war, wollen wir nun mehr den Rahmen untersuchen, in den die neue Institution des Ausgleichs hineinwuchs, die Bedingungen, unter denen sich die Dinge, da positive Verfügun­gen fehlten, kraft der Gewohnheit entwickelten. An der Sitzung des kaiserlichen österreichischen Ministerrates am 14. Februar 1867, der die endgültigen Formen des bevorstehenden Ausgleichs bestimmen sollte, haben außer den Mitgliedern des kaiserlichen Ministeriums — wie bereits er­wähnt — auch die maßgebenden Mitglieder der präsumtiven ungarischen Regie­rung teilgenommen. Der kaiserliche Ministerrat bestand damals noch nicht nur aus den eigentlichen Ministern, sondern aus den Leitern der alten Hofbehörden, den Vorsitzenden der »Hofstellen«. So wie dies seit 1848 auch unter den sich ändern­den Verhältnissen in der Epoche des Absolutismus stets Gewohnheit war. 106 Wie die Protokolle bezeugen, wären anfangs nur die gemeinsamen Minister Mitglieder des gemeinsamen Ministerrats gewesen bzw. hätten nur diese an den anfangs sehr häufigen, später selteneren Sitzungen teilnehmen sollen. 107 Sehr bald ergab sich jedoch die Notwendigkeit, daß die Regierungsmitglieder der beiden Reichshälften unmittelbar, auf kurzem Wege mit den Mitgliedern der gemeinsa­men Regierung bzw. später auch miteinander in Verbindung traten. In der Praxis war hierzu die entsprechende Form, daß jene Mitglieder der beiden Regierungen, die an dem einen oder anderen Tagesordnungspunkt des gemeinsamen Ministerra­tes interessiert waren, zur Beratung zugezogen wurden. Das war der historische Vorläufer der Entwicklung des Rahmens und der Zusammensetzung des gemeinsa­men Ministerrates, was aus einigen konkreten Fällen, über deren Einzelheiten uns die Protokolle genau unterrichten, erhellt.

Next

/
Thumbnails
Contents