Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

im wesentlichen dasselbe aus, wie das Wort »gemeinsam« und der Kaiser akzep­tierte dies zu Recht. Sie konnten ruhig in den Gebrauch des Ausdrucks »gemeinsa­mes Ministerium« einwilligen, denn das gemeinsame Ministerium hat — wie die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts der Monarchie beweist — stets Reichs­politik betrieben. Beust war der einzige Reichskanzler der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Sein Nachfolger, Graf Gyula Andrássy, wurde von Franz Joseph am 14. November 1871 bereits als kaiserlicher und königlicher Minister des Äußern ernannt. 92 Der gemeinsame Kriegs- und Finanzminister werden in den Protokollen des gemeinsamen Ministerrates jedoch noch lange Zeit hindurch als »Reichs«-minister angeführt. Es ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber eine charakteristische akten­kundliche Gegebenheit, daß fast bis zum ersten Weltkrieg vor der Registrier­nummer der Protokolle die Abkürzung R.M.R. (Reichs-Ministerrat) stand und erst später, Jahrzehnte nach dem Ausgleich die Abkürzung G.M.C. (Gemeinsame Minister-Conferenz) in Gebrauch kam. 93 Die Debatte über den Reichscharakter des gemeinsamen Ministeriums, richtiger über seinen Gesamtreichs-Regierungscharakter sollte verschleiern, daß die Sou­veränität des ungarischen Staates in Gefahr geraten und der Machtbereich und die Zuständigkeit der ungarischen Regierung bedeutende Einbußen erlitten hatten. Die tatsächliche Verminderung der ungarischen staatlichen Souveränität und der Machtfunktionen der ungarischen Regierung versuchte man auf der Bühne des ungarischen politischen Lebens zu verdecken, indem man den Regierungscharak­ter der gemeinsamen Regierung und das Bestehen des Gesamtreiches als selb­ständige juridische Person mit Worten verneinte. Hierzu ließen sich eine ganze Reihe von Erklärungen anführen. Wir wollen uns aber auf die lehrreichsten, auf die Proteste beschränken, in denen die Widersprüche am stärksten zum Ausdruck kommen. Die Widersprüche sind in den halb-oppositionellen Erklärungen wäh­rend der Koalitionsregierung geradezu komprimiert enthalten, der unüberbrück­bare Gegensatz zwischen dem Reichsgedanken der Habsburger und der ungari­schen staatlichen Unabhängigkeit trat hier am schärfsten zutage. Gewöhnlich geschah dies nicht in wesentlichen Fragen, die die Struktur der Habsburgmonarchie betrafen oder die ungarische staatliche Unabhängigkeit tatsächlich zu sichern vermochten, sondern eher in der symbolischen Wahrung der Unabhängigkeit. Dabei handelte es sich z. B. um das Anbringen des ungarischen Staatswappens bei den Auslandsvertretungen und den parallelen Gebrauch der ungarischen Sprache neben der deutschen im Geschäftsgang des Ministeriums des Äußeren. Die 48er Opposition, die »gezwungen« war, gemeinsam zu regieren, hat sich im Aufwerfen solcher Probleme ausgelebt. 94 Im Juni 1906 wurde in der ungarischen Delegation das Budget des gemeinsa­men Ministeriums des Äußern behandelt. Lajos Holló beanstandete in scharfer Form, Österreich trage nicht viel mehr zu den gemeinsamen Ausgaben bei als Ungarn, der gesamte Beamtenapparat des Ministeriums des Äußern und das ganze Netz der Diplomatie aber nährten Österreichs wirtschaftliche und politische Kraft. Der auswärtige Dienst sei selbst in seinen Äußerlichkeiten Österreichisch. Deshalb wünsche er, daß bei den Auslandsvertretungen auch das ungarische Staatswappen

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