Mitteilungen des K. K. Archivrates 1. (Wien, 1914)

Dr. Bertold Bretholz: Zur Geschichte des mährischen Archivwesens

30 Dr. Bertold Bretholz. welchem Werke die wesentlichsten Urkunden bereits verzeichnet und verarbeitet seien. Auch die Berichte der Archivkorrespondenten, unter denen sich zahlreiche Geistliche befanden, enthalten mancherlei Daten über Pfarrarchive, allein eine klare Übersicht wird man aus diesen Ma­terialien kaum gewinnen. Was hier nottäte, wäre eine einheitliche sachgemäße Inventarisierung, wie sie etwa in Franken, dort allerdings unter der Ägide der Gesell­schaft für fränkische Geschichte, und anderwärts in mustergültiger, norm­gebender Weise bereits durchgeführt wird1) und Veröffentlichung dieser Verzeichnisse in einer einzigen großen Publikation. Das Schmerzenskind einer erfolgreichen Archivorganisation bilden wie anderwärts so auch in Mähren seit jeher die zahlreichen Stadt-, Markt-, Dorfarchive. Alles vereinigt sieh hier, um das Problem, wieda Ordnung zu schaffen wäre, zu erschweren und zu komplizieren. Mangel an geeigneten Räumlichkeiten, um das Material zweckentsprechend auf­zubewahren, Mangel an geeigneten Kräften, um die Arbeit durchzuführen, Mangel an Interesse und Verständnis für dieses Besitztum bei den ver­antwortlichen Behörden. Wenn man Boczek glauben kann, dann sah es zu Beginn der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als er mit seinen archivalischen Forschungsreisen begann, mit den mährischen Stadtarchiven verzweifelt aus. Auf eine offizielle Umfrage »über ein alienfälliges Vorhandensein geschichtlicher Materialien« — so schrieb er in einem Bericht an den Landesaussehuß — liefen fast durehgehends negative Antworten ein, selbst von jenen Orten, von denen das Gegenteil sich leicht erweisen ließ. Dieses merkwürdige Verhalten gegenüber einer amtlichen Anfrage will er aber nicht »auf eine unerklärliche Indolenz oder einen gänzlichen MangelanNationalsinnundNationalinteresse« zurückführen, sondern erklärt es sich aus einer gewissen Scheu, in die völlig ungeordneten und verwahr­losten Archive Einblick zu gewähren. Er behauptet, daß damals »fast überall die alten Registraturen, ja selbst die Archive in einer fast van- dalischen Unordnung« sich befanden, »daß man demnach bei einer so großen Unordnung und bei dem ganzen Abgänge von Archivverzeich­nissen und Registratursrepertorien selbst an Ort und Stelle über ein etwa vorhandenes Geschichtsmaterial kaum eine nähere Kenntnis haben könne«. Als Beispiele führt er »die beiden Hauptstädte des Landes, Brünn und Olmütz«, an. die gleichfalls »von diesen Gebrechen nicht ganz loszusagen seien«. Im Brünner Archiv fanden sich »noch vier große Schubladen und eine große Holzbutte, vollgepfropft mit wichtigen Akten und Ur­kunden ungeordnet und unverzeiehnet« vor; in Olmütz hätte er »die l) Vgl. darüber: Korrespondenzblatt des Gesamtvereines der deutschen Geschiclits- und Altertumsvereine. Jahrg. 60 (1912), Nr. 10, 11, Sp. 356 ff.

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