Mitteilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 4. (Dritte Folge, 1906)
Hauptmann Just: Das Herzogtum Warschau von seinen Anfängen bis zum Kampf mit Österreich 1809
Das Herzogtum Warschau. 59 Die dem Lande gegebene Verfassung *), welche Napoleon nach Bericht des Augenzeugen Wybicki in Gegenwart der polnischen Deputierten in kaum einer Stunde dem Staatssekretär Marét indie Feder diktiert hatte, war, durchweht vom Geist der neuen Zeit, vollständig nach französischem Muster zugeschnitten und rief deshalb im Lande nur geteilte Eindrücke hervor. Der Adel, dem noch immer das Übergewicht gewahrt blieb, konnte die ungebundene Freiheit des ancien régime nicht verschmerzen, das Volk jedoch, erst jetzt zu politischem Leben erweckt, war für ein solches noch unreif. So traten die Vorzüge der Konstitution viel weniger der Nation zu Bewußtsein, als gerade jene Bestimmungen, die altpolnischem Brauch und Wesen zuwiderliefen. Die oberste Regierungs- und gesetzgebende Gewalt lag in den Händen des Herzogs, dessen Würde erblich. Seine Einkünfte bestanden in einer Zivilliste von 7 Millionen polnischen Gulden (zur Hälfte aus den königlichen Domänen und dem Staatsschatz), dem königlichen Schloß und dem sächsischen Palais in Warschau* 2). Dem Herzog zur Seite stand ein Staatsrat (rada stanu) von fünf Personen, dem nach kgl. Dekret vom 5. Oktober 1807 der Justizminister Felix Graf Lubiehski — der Minister des Innern Luszczewski, ein sehr fähiger und arbeitskräftiger Mann —des Kriegs Fürst Poniato wski, — der Polizei Alexander Potocki und Finanzminister D^bowski angehörten. Als Bindeglied zwischen König und Staatsrat wirkte der Staatssekretär Stanislaus Breza. In Abwesenheit des Herrschers übte die oberste Gewalt ein Ministerpräsident aus, damals Graf V. Malach owski. Der Reichstag bestand aus zwei Kammern: dem Senat (Izba wyszsza) mit 18 vom König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern und dem Abgeordnetenhaus (Izba poselska), welches 00 vom Adel und 40 von den Stadtgemeinden gewählte Vertreter begriff. Alle zwei Jahre hatte der Reichstag zu einer 14tägigen Session zusammenzutreten. Die vom Staatsrat 9 d’Angeberg, 470. 2) Bezogen hat König Friedrich August diese Zivilliste niemals, da die Staatskasse sie nicht aufzubringen vermochte und die Domänen keinen Reinertrag gaben.