Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 1. (Dritte Folge, 1902)

Hauptmann von Hoen: Der Strassenkampf in Paris am 28. und 29. Juli 1830

38 Hóén, solch’ vollkommener Niederwerfung gewiss noch günstigen Frieden ermöglichte, so fiel doch in den Augen des Volkes die ganze Schuld auf die Wiedereingesetzten und verminderte noch mehr die seit der Revolution ohnedies geschwundene Anhänglichkeit an das angestammte Geschlecht, während sich die ganze Sympathie dem gestürzten Kaiser zuwandte. Jedes Volk ist empfänglich für Ruhm und Grossthaten, insbesondere das französische. Wie hätte dasselbe dem Glanze des napoleonischen Namens widerstehen können! Verbanden sich mit demselben auch zahllose Opfer an Gut und Blut, die schweren Lasten stets aufeinander folgender Kriege, so knüpften sich hieran andererseits die Erinnerungen an eine Heldenzeit, wie sie wenigen Völkern je beschieden war. Von Sieg zu Sieg flatterte die ruhmbekränzte Tricolore und durch­eilte fast ganz Europa, ein unermessliches Gebiet Frankreichs Herrschaft unterwerfend. Ludwig XVIII. hatte auf der Füh­rung der weissen Fahne bestanden, dem Symbol des alten Königthums, während er versprach, die durch die grossen Umwälzungen geschaffenen Verhältnisse anzuerkennen und zu achten, ein unlösbarer Widerspruch! Das neue Frankreich war jenes der Tricolore, das alte bourbonische war längst verschollen. Was hatte das in den ersten Jahren der grossen Revolution in den Staub getretene und nun mit fremder Hilfe wieder aufgerichtete weisse Lilienbanner dem Symbol zweier ruhmvoller und glorreicher Jahrzehnte entgegenzu­stellen? — Seine Aufrichtung war eine Demüthigung des stolzen Frankreich. Fremde Truppen rückten in Paris ein und lagerten auf den Boulevards; ein preussischer General — Baron Müffling — wurde zeitweiliger Gouverneur der Hauptstadt; das französische Territorium wurde in die alten Grenzen gewiesen, die Festungen geschleift und von fran­zösischem Gelde Bollwerke auf fremdem Boden errichtet. Dem Erbfeinde Wellington verlieh Ludwig XVIII. die fran­zösische Marschallswürde, während er Ney erschiessen liess und als Eidbrüchigen wohl auch erschiessen lassen musste. Doch Ney war einer d er ausgezeichnetsten Paladine Napoleon’s, der Held vieler glänzender AVaffenthaten, ein Stück der schönsten Vergangenheit. Deshalb beschuldigte das Volk den König einer unerhörten Grausamkeit und Rachsucht, Eigen­

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