Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs - Supplement. Geschichte K. und K. Wehrmacht 1. (1898)
Die Fuss-Truppen - I. Infanterie - Die Chargen und ihre Obliegenheiten
- 9S „Damit die Hauptleute im Stande wären, die kostspielige ßecrutierung bestreiten zu können, so wurde ihnen gestattet, eine bestimmte Anzahl Individuen durch mehrere Monate auf eigene Rechnung in ihre Heimath zu beurlauben und von den sich hiedurch ergebenden Sold-Ersparnissen1) eine Re- crutierungs-Cassa zu gründen. Die Regimenter sollten sich aus diesen Mitteln completieren, wo sie eben lagen, ohne dass in Friedenszeiten alljährlich eine Haupt-ßecrutierung nothwendig würde.” „Wegen Ersetzung der abgängigen Mannschaft wurde gewöhnlich vom Hofkriegsrath, oder auf dessen Befehl vom commandierenden General, mit einem Lande oder mit der Hofkammer, oder vom Commissariat mit den Regimentern ein Contract geschlossen. Die anzuwerbenden Leute sollten gross und stark, im Alter von 24 bis 35 Jahren und mit völlig neuer Montur und Seitengewehr versehen sein.” „In Bezug auf Beschaffenheit (Nationalität) der Recruten ist besonders darauf zu sehen, dass sie keine Franzosen, Welschen, oder „ausser” Deutschland* 2) gebürtigen, denn mit solchen ist selten etwas auszurichten, indem sie sich nicht leicht in die Cameradschaft nach unserer Art zu sein gewöhnen, auch die grössten Läufer und Grosssprecher sind, die von Einem zum Anderen gehen und wohl auch noch gute Leute verführen und debauchieren.” „Es sind soviel möglich bekannte Leute anzunehmen, deren Eltern und Befreundete bekannt und haussässig sind.” „Sie dürfen nicht ungeschickt, einfältig und talkigt sein, sondern müssen ein männliches Gesicht und gute Physiognomie haben.” Ausserdem war deren Vorleben und die Motive, warum selbe sich anwerben Hessen, in Betracht zu ziehen; es sollte niemand angenommen werden, welcher mit einem Leibesdefeet behaftet war. Die Anwerbung verschiedenartiger Professionisten, im allgemeinen von Handwerksleuten, war zu begünstigen, ebenso von Studenten und jungen Menschen aus besseren Häusern. Niemand durfte gezwungen, oder durch List überredet werden. Sobald ein Recrut angeworben war, wurde ihm, wenn die Montur nicht fertig war, wenigstens die Patrontasche umgehängt und die Löhnung ausbezahlt, welches als Zeichen galt, dass er „obligat”3) unterhalten war. Wenn Recruten zu den Regimentern kamen, wurden die ansehnHchsten zu den Grenadieren eingetheilt, dann hatte die Leib-Compagnie die Auswahl, die Uebrigen wurden durch das Los den Compagnien je nach dem Abgänge anrepartiert. Jedem werbenden Officier wurde je ein Fourier, Feldscher, Tambour und 3 bis 4 Mann mitgegeben. In den Werb- und Sammelplätzen soHte gute Disciplin und Mannszucht gehalten worden. Die commandierten Officiere wurden vom Hofkriegsrath mit dem Werbe-Patent, mit Pässen und betreffs der Werbung im Reiche mit den Requi- sitorialschreiben an die betreffenden Landesfürsten versehen. Werbe- und Ergänzungs-Systeme 1748—1765 (1771). Kaiserin-Königin Maria Theresia erhess mehrfache Verordnungen, um eine zuverlässige und stete Ergänzung des Heeres anzubahnen. So wurde 17484), um eine „beständige Werbung” zu erzielen, angeordnet, dass die Regimenter in den Ländern und Quartiers-Stationen, wo sie standen, „aller Orten die Trommel und ihre Werbtische aufzuschlagen hätten und sei mit der Werbung bis zur vollständigen Completierung fortzufahren”; Stände und Unterthanen sollten diese Werbung nach Kräften unterstützen und fördern. *) Die Regimenter wurden nämlicli gleichzeitig auf den vollen Soll-Stand bezahlt. 2) In einigen älteren Werken über Organisation der Armee, erscheint an dieser Stelle ein sinnstörender Druckfehler, indem es heisst: „aus Deutschland” gebürtige, u. s. w. 3) Der „obligate” Soldat war verpflichtet, lebenslänglich, eventuell solange es durch die Capitulation vereinbart war, zu dienen; der „unobligate” konnte seine Charge nach Belieben resignieren. Dieses Recht oder diese Art von Anwerbung stand, ausser den Officieren, nur einigen Personen der Stabs-Aemter zu und wurde auch durch Beförderung in die Officiers-Charge erworben. 4) Allerhöchster Erlass vom 21. December 1748.