Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1881)
Moriz v. Angeli, Major im k. k. Kriegs Archive: Der Krieg mit der Pforte 1736 bis 1739 - I. Die Ereignisse im Jahre 1736
256 Der Krieg mit der Pforte 1736—39. Militärische sowohl als politische Gründe gestatteten jedoch nicht, mit den gefassten Entschlüssen offen hervor zu treten. In ersterer Hinsicht musste man Zeit gewinnen, um die Armee in Ungarn zu concentriren, anderseits aber beobachteten Frankreich und England mit schlecht verhehltem Misstrauen die Vorgänge im Orient; es legte daher Carl VI. einen besonderen Werth darauf, seine politischen Ent- schliessungen nicht in dem Lichte erscheinen zu lassen, als benütze er die Verlegenheit der Pforte, um ihr die Treue zu brechen und sie blos nur aus Eroberungssucht mit Krieg zu überziehen. Man suchte daher keine äusserlichen Kriegsursachen, die man eben so wie Russland unschwer gefunden hätte, sondern trug Sorge, den Krieg, an dem man sich zu betheiligen im Begriffe war, als eine unmittelbare Folge der Vertragspflicht gegen Russland erscheinen zu lassen, welche den Kaiser nöthigte, mit entsprechenden Zwangsmitteln vorzugehon, falls die Pforte die ihr gebotenen „bons offices“ nicht annähme. Weit schwieriger als die Ordnung der äussern Angelegenheiten erschien die Feststellung des Verhältnisses zum Alliirten selbst. In Wien war man von dem tiefsten Misstrauen gegen Russland erfüllt, welches durch seine ganze Haltung genügend Anlass dazu gegeben hatte '). Man befürchtete, dass Russland sich im günstigen Falle zu sehr „gegen die Moldau oder gar gegen Macedonien oder andere mit griechischen Glaubensgenossen bewohnte Länder“ ausbreiten möchte, und hegte die keineswegs grundlose Besorgniss, dass es sowohl mit Persien als auch mit der Pforte insgeheim Verbindungen unterhalte und mit letzterer einen Separatfrieden abschliessen könnte, ohne auf Österreich hiebei Rücksicht zu nehmen und bevor dieses noch in der Lage gewesen sein würde, thatsächlich in die Action einzutreten. Der Gang der Operationen der russischen Armee und die Berichte der Gesandten aus Petersburg und Constantinopel waren nur zu sehr geeignet, diese Anschauungen zu bestätigen. In Wien scheute man aber nichts so sehr als die Nachbarschaft Russlands; der Widerwille dagegen ging so weit, dass man entschlossen war, die Moldau, falls es unmöglich sein sollte, diese selbst zu behalten, lieber der Republik Polen zu cedircn, ja sogar eher der Pforte zurückzugeben, als in eine unmittelbare territoriale Berührung mit Russland zu willigen *). Ungeachtet aller Vortheile, die man sich von einer gemeinsamen Operation gegen die Türkei versprach, blieb diese doch unbedingt von dem Vorbehalte abhängig, dass Russland in einer oder der andern ') Sielie hierüber die zahlreichen Vorträge des llofkriegsrathes und der Minister- Conferenzen, sowie ein Schreiben des Kaisers an den Grafen Ostein, Gesandten in Petersburg. Kriegg-Archiv, Fase. 1736. 2) Kriegs-Archiv; Fase. XIII, 26.