Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs - Die Occupation Bosniens und der Herzegovina (1879)

Einleitung

34 „Der königlich grossbritannische Geschäftsträger hat eine Mitthei­lung seiner Regierung zu meiner Kenntniss gebracht, des Inhalts, dass Lord Derby der Meinung ist, fürs Erste die Ergebnisse einer even­tuellen kriegerischen Action im Orient abzuwarten. Siege die Pforte, so würden sich die Insurgenten mit den angebotenen Zugeständnissen begnügen. Im Falle des Sieges der letzteren dagegen wäre die zweck- mässigste Lösung nach Lord Derby’s Ansicht, dass die Pforte sich ihrerseits zu einer radicalen Entscheidung, und zwar: zu der Conces­sion einer vollständig autonomen Stellung der aufständischen Provinzen nach dem Vorbilde Serbiens und Rumäniens entschlösse.“ „Wahrscheinlich im Zusammenhänge mit dieser Kundgebung des Cabinets von St. James hat Fürst GortschakofF eine Idee ange­regt, von welcher mir durch Herrn von Novikoff Kenntniss gegeben worden. Der Vorschlag des Herrn Reichskanzlers unterscheidet sich von dem englischen dadurch, dass die Autonomisirung der betreffen­den Gebiete des türkischen Reiches nicht erst von den Chancen eines Krieges abhängig gemacht, sondern sofort und durch eine diplomatische Intervention Europa’s, bei welcher England der Vortritt zu überlassen wäre, durchgeführt werden solle. Der Gedanke der Autonomie ist beiden Anregungen bis zu einem gewissen Grade gemeinsam.“ „Nach meiner Ueberzeugung ist eine Parallele zwischen Serbien und Rumänien einerseits, und Bosnien und der Hercegovina anderer­seits, völlig unstatthaft. Die beiden erstgenannten Länder werden von einer homogenen Nationalität bewohnt; die Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina scheidet sich nach den besten statistischen An­gaben fast zu gleichen Theilen in Christen und Bekenner des Islam, die nicht etwa, wie im Libanon, in geschlossenen Bezirken neben­einander, sondern ortschafts- und häuserweise péle-mele wohnen. Wäre bei dieser Bevölkerungs-Grundlage die Constituirung unabhän­giger autonomer Staaten zu allen Zeiten schwierig, so ist sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen schlechthin unmöglich. Die Autono­misirung Bosniens und der Hercegovina würde den Vernichtungs­kampf zwischen den Christen und den Muhammedanern entfesseln, und wir unsererseits hätten die Aussicht, dass sich letztere im Falle ihrer Ueberwältigung gerade so auf unser Gebiet flüchten würden, als es jetzt die Christen gethan haben. Im Grossen aber müsste das Ergebniss einer derartigen Autonomie in seinen Consequenzen der Geschichte von den beiden Löwen entsprechen, von denen nach der Beendigung ihres Kampfes nichts als die beiden Wedel übrig geblieben sind.“ „Ich musste Lord Derby darauf aufmerksam machen, dass der grösste Fehler nicht der wäre, Ländern eine Autonomie gegeben zu haben, die sie nicht vertragen können, sondern der, sie andern Län­dern, wie beispielsweise Bulgarien vorzuenthalten, die sie sofort be­gehren würden. — Die Autonomisirung Bosniens und der Hercego­vina würde die Frage nicht nur nicht localisiren, sondern vielmehr Bulgarien und andere Provinzen in den Streit hineinziehen und letz­Vorgeschichte.

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