Gopcsa Katalin (szerk.): Egry (Budapest, 2005)

hinausfuhr. Ich sah nichts anderes, nur den herrlichen Ster­nenhimmel und das spiegelnde Wasser, und ich fühlte, dass ich mich irgendwo im Zentrum der Unendlichkeit befand, und das Erleben dieser Nacht gab mir wieder den Pinsel in die Hand. Mich interessierten nicht mehr die impressionis­tischen Naturbeobachtungen, ich wollte keine «Ausschnitte» mehr malen. Die Inspiration, die mich anspornte, war ge­radezu gegenstandslos. Auf meinen Bildern gab es keine abschließenden Linien mehr, meine Farben begannen zu schweben, und ich bemühte mich, durch sie mein Verhältnis zum Universum zum Ausdruck zu bringen." Egry zeichnete auf seinen Kompositionen die Grundstruktur der Balaton­landschaft, ihre archetypischen Bergformen, den Badacsony, den Gulács, das pyramidenförmige Bergpaar von Fonyód mit all ihren Spiegelungen im Wasser. Er war bezaubert von den Farben. Die im Raum schwebenden Motive lösen sich zu einer Art zeitloser Ansicht. Eine gelungene Darstellung dieses erlebten Universums ist das Aquarell Fischer vom Bala­ton (Abb. 24), das Motiv des plastisch, fast mit bildhaueri­schem Nachempfinden dargestellten Kahns und darin die Gestalten der mit kraftvollen Bewegungen rudernden Fischer, die mit Wellen- und Lichtlinien aus dem gleichen Stoff geschaffen sind. In der intensiven räum- und form­gestaltenden Konstruktion von Licht und Wellen kommt das nächtliche Universumerlebnis, das auf Egry von so großer Wirkung war, restlos zum Ausdruck. Heute haben sich unsere Landschaftserlebnisse verändert. Unsere Landschaftsbetrachtung wandelte sich durch Satelli­tenaufnahmen und Luftaufnahmen aus der Vogelperspektive. Betrachten wir das Balatonufer auf solchen von Hubschrau­bern aus aufgenommenen Fotos, erkennen wir interessan­terweise eben jene S-Linien, Sichelbogen, weichen Parabeln und Hyperbeln am Uferverlauf, die auch die Grundstruktur auf den Balatonbildern von Egry bilden. Obwohl der Maler am liebsten - wie der oft von ihm gemalte Angler auf dem Steg (Abb. 25) - nur aus dem Schilf den sich wiederholen­den Linienrhythmus betrachtete oder auf einem Berg aus hoher Sicht den schnellen Wechsel der Atmosphäre vor und nach dem Regen, die im Dunst verschwindenden Ufer­umrisse bzw. den sich scharf abzeichnenden leicht ge­schwungenen Bogen der fernen Bergkuppen am jenseitigen Ufer beobachtete. Doch nicht nur der Balaton war für Egry ein Erlebnis, es war das Leben in der Natur überhaupt. Er studierte, wie der Wechsel der Tageszeiten die Ansicht um­strukturierte, wie die elementaren atmosphärischen Verhält­nisse dem „in Bildern" sehenden Künstler immer wieder neue Eindrücke verschafften. Seine Gemälde - und wenn wir es aufmerksam betrachten, auch die Bildtitel - legen davon Zeugnis ab: Es beginnt zu regnen, Es regnet, Es klärt sich auf (Abb. 41), Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Nach dem Sturm (Abb. 28), Silbernes Tor (Abb. 52). Ein so feierliches Ereignis wie der Regenbogen (Abb. 43) war am Balaton ein besonders überwältigender Anblick. Wenn Egry bekannte, dass er gern in Badacsony lebte, dass er es liebte, vom Fenster aus auf die riesige Wasserfläche zu schauen, dass es ihn freute, die Erscheinungen der Tages­und Jahreszeiten zu spüren - die doch „in der Stadt in den künstlichen Rahmen des Kalenders gepresst sind. Auf dem Lande erlebt man alles unmittelbarer, der Einfluss der Natur ist direkter" -, dann dachte er dabei genau an diese täglichen „Wunder", den Regen, den Sturm und den Regenbogen. Und wenn wir in der Welt auf die einfachsten Dinge achten, dann sollten wir - wie der Dichter Pilinszky es ausdrückte ­daran denken, dass wir dabei unsere Aufmerksamkeit auf den wichtigsten Punkt richten, „wo es keinen Betrug gibt, auf das Wunder, das langsam nur noch von Kindern, Ver­rückten, Heiligen und Geistesschwachen bemerkt wird". Aber wir sollten auch wissen: „Wer sich wundern kann, dem erschließen sich die Wunder." Unter den mehr als dreihundert Studienzeichnungen von Egry im Keszthelyer Balaton-Museum gibt es zahllose Kom­positionsskizzen vom Regenbogen, und ab Mitte der zwan­ziger Jahre hat der Künstler mehrere davon als großangelegte Gemälde realisiert (1924, 1927, 1930 und 1940). Alle zeigen dieses sich immer wieder erneuernde Erlebnis, das Egry als Geschenk des Lebens sichtbar machen wollte. Die fortgesetzte Entdeckung der Wunder der Balatonland­schaft ist auch die Geschichte der nach innen und nach außen gerichteten Betrachtung, der geistigen Vervollkomm­nung, der Erkenntnis und der reifer werdenden Selbst­betrachtung Egrys. Der Künstler war sich dieser Verände­rungen bewusst und hat sie wiederholt formuliert: „ich fand in der Atmosphäre der Heimat zu mir selbst" ... „ich erlernte jene Sprache der Natur, die nur ihre Bewunderer und Fana­tiker verstehen ... um zu mir selbst zu kommen." Die Kunstanalytiker untersuchten in Egrys Œuvre die große Stilwende der zwanziger Jahre und verfolgten dabei in seinen Kompositionen die dramatische Formulierung der gemein­samen Erscheinung von Licht und Dunkel. Auf dem Bild Torfbrennen in Somogy von 1921 (Abb. 23) steckte der Maler die Luft in Flammen. Die rauchige Flamme lässt die Landschaft erglühen und beraubt sie jeglicher Gegenständlichkeit.

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