Bagi Gábor et al. (szerk.): Tisicum - A Jász-Nagykun-Szolnok Megyei Múzeumok Évkönyve 17. (Szolnok, 2008)

Történelem - Cseh Géza: A Rajk-ügy lipcsei szálai. Ibolya Steinberger rehabilitációs iratai a budapesti levéltárakban

Im Sommer 1956 konnte man gerüchteweise über den Arbeiteraufstand in Posen (poln. Poznan) hören, der Ende Juni stattfand. Dem Führungswechsel an der Spitze der Partei der Ungarischen Werktätigen (Magyar Dolgozók Pártja) von Mátyás Rákosi (1892—1971) zu Ernő Gero (1898—1980) wurde von mir keine große Bedeutung zu­geschrieben, da Gero ein enger Vertrauter Rákosis und ebenfalls ein Stalinist war. Die neue Parteiführung ver­suchte, den ersten großen Massenprotest, der sich anläss­lich der Rehabilitierung von László Rajk (1909—1949) manifestierte, zu verschweigen und sich selbst an die Spitze der Entstalinisierung zu setzen. Am Vorabend des 23. Oktober — eine große Partei- und Staatsdelegation unter Gero und Ministerpräsident András Hegedűs (1922—1988) war gerade beim früheren „Marschall der Verräter” Josip Broz-Tito zu Besuch — sah ich noch den neuen Film „Hannibál tanár úr” (Herr Studienrat Hanni­bal), der die Irredentabewegung in Ungarn der Zwischen­kriegszeit ziemlich realistisch behandelte. * Am Vormittag des 23. Oktober 1956 erschien eine Stu­dentendelegation von der Universität Szeged im Mihály Fazekas-Gymnasium in Debrecen, las die Forderungen der ungarischen Jugend vor und rief uns Schüler zur Beteili­gung an einem Demonstrationszug auf. Es war ein warmer Herbsttag, und wir waren sommerlich mit kurzen Hosen angezogen. Auch die Schüler der anderen Gymnasien und Mittelschulen schlossen sich an, und wir zogen zum Komitatsparteihaus neben der Füvészkert-Schule — wo ich die 8. Klasse absolviert habe — und dem Déri- Museum. Die älteren verbrannten hier ihre Ausweise, ich meinen Pionierausweis, da sie das ungarische kommu­nistische Wappen trugen. Unsere ehemalige Russisch- Lehrerin (Frau Kárpáti) schaute uns vom ersten Stock der Schule mißbiligend zu. Danach zog die Demonstration in die Betriebe (u.a. in die Waggon-Fabrik), wo die große Mehrzahl der Arbeiterschaft sich solidarisierte. Unterwegs schlossen sich auch viele Passanten dem Zug an. Es herrschte eine feierliche Stimmung der Solidarität, und die Losungen, die wir riefen, hatten die Sympathiebekun­dungen für die polnischen Oktoberereignisse und natürlich die Fordemng nach Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn und die Ablösung der Partei- und Staatsführung durch Imre Nagy (1896—1958) zum Inhalt. Das Ziel war das Hauptgebäude der Universität am Rande der Innenstadt im Großen Wald (Nagyerdő). Wir hatten schon viele verordnete Demonstrationen erlebt, aber eine solche noch nicht. Die Teilnehmerzahl des Zuges schwoll derartig an, dass sie am Nachmittag, als man auf dem Wege zur Universität war, nach meinem Eindruck so groß wie Debrecen Einwohner hatte. Diese Tatsache ist nicht nur durch die vielen in Debrecen arbei­tenden Pendler, sondern auch durch die zahlreichen Sym­pathisanten aus der benachbarten Region zu erklären. Als später der Revolutionsrat (Selbstverwaltungsorgan) und die Nationalgarde zur Aufrechterhaltung der Ordnung gebildet wurden, war ich bereits zu Hause. Wie in den nächsten Tagen hörten wir Radio Budapest und versuchten auf diese Weise, Informationen über die dramatischen Ereignisse in der Hauptstadt zu erlangen. Da ich kein Tagebuch führte, kann ich nur meine bleibenden Erlebnisse schildern ohne Anspruch auf die exakte chrono­logische Reihenfolge zu erheben. Mein älterer Bruder László, der in Sztálinváros (vorher Dunapentele, heute Dunaújváros) — in einem Brennpunkt der bewaffneten Kämpfe — arbeitete, kehrte nach Hause zurück, womit er meine Missbilligung auslöste. Denn ich wollte ja kämp­fen! Als technisch begabter junger Mann sorgte er aber dafür, dass wir Radio Freies Europa hören konnten, das freilich durch seine Einstellung gegen Nagy für Verwir­rung sorgte. Eines Tages kamen zwei Lastwagen mit Waffen auf den Hof des Gymnasiums, und es wurden Maschinenpis­tolen, Karabiner und andere leichte Waffen an die Schüler der Oberstufe verteilt. Doch mir wurde nach der Identifizierung beschieden, „unter Mutters Rockschoß” zu gehen, da ich zu jung war. Für mich ein großes Misser­folgserlebnis, das unauslöschlich in meinem Gedächtnis blieb. Im Rundfunk wurde behauptet, dass Aufständische ihre Waffen in Toreinfahrten, Friedhöfen u.ä. ablegten, weil sie so straffrei blieben. Eine mühselige Suche nach Waffen meinerseits auch auf dem alten Friedhof hinter dem Hauptbahnhof verlief aber ergebnislos. Am 28. Oktober änderte sich der Ton im Rundfunk gewaltig: der Freie Sender Kossuth (Szabad Kossuth Rá­dió) startete seinen Sendebetrieb. Die Regierung Nagy — damals schon eine Koalition mit Nichtkommunisten — erreichte auf Verhandlungswege, dass die Sowjets den Rückzug ihrer Truppen aus Ungarn zusagten. Die Revolu­tion war vermeintlich siegreich! Später stellte es sich für uns heraus, dass die sowjetischen Truppen lediglich aus­getauscht wurden: die Ukrainer erwiesen sich als unzu­verlässig, deshalb wurden sie durch Truppen aus dem asiatischen Teil der Sowjetunion ersetzt. Diese zogen ab Ende Oktober massenhaft auch durch Debrecen Richtung Budapest. Das Dröhnen der Panzer und anderer Motoren war ziemlich deutlich zu hören, da ich in der Nähe der einen der beiden Wegstrecken (Kató Hámán-, heute Füredi-Straße) wohnte; außerdem haben wir uns den furchterregenden Aufzug wiederholt angesehen. Heute weiß ich sehr gut, dass Imre Nagy als Reaktion hierauf den Austritt Ungarns aus dem sog. Warschauer Pakt und die ungarische Neutralität erklärt hatte. Wie in Budapest, so sollte auch in Debrecen am Mon­tag, dem 5. November die Produktion in den Betrieben und das normale Leben begonnen werden. Hierzu kam es bekanntlich nicht mehr, weil die Rote Armee mit überle­genen Panzer-, Infanterie- und Luftkräften am Sonntag, dem 4. November kurz nach vier Uhr morgens landesweit ihre zweite Intervention in Ungarn startete. Die politische Führung der Sowjetunion erklärte sowohl nach dem 23. Oktober (erste Intervention) als auch jetzt, dass sie „den brüderlichen ungarischen Werktätigen” Hilfe leisten woll­te. Erhitzt wurde von uns damals die Frage debattiert, wer die Sowjettruppen aus der ungarischen politischen Füh­rung zu Hilfe gerufen habe. Beide Male begannen die Sowjets ihre Aufmärsche ungerufen, wobei nach dem 4. November János Kádár die sowjetische Politik loyal 382

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