A Debreceni Déri Múzeum Évkönyve 2005 (Debrecen, 2006)
Irodalomtörténet - Orosz György: Apokrifek, vallásos népénekek az óorosz időkből
György Orosz APOKRYPHEN, GEISTLICHE VOLKSGESÄNGE AUS ALTRUSSISCHEN ZEITEN Das Kiewer Fürstentum, der erste russische Staat, trat mit der offiziellen Übernahme des Christentums im Jahre 988 in die Gemeinschaft der christlichen Zivilisation ein. Die Christenheit der Rus' war keineswegs frei von heidnischen Vorstellungen und Lebensinhalten. Heidnische Elemente verbanden sich mit dem christlichen Glauben, und auf diese Weise bildete sich ein spezifisches Ethos, der heidnisch-christliche religiöse Synkretismus heraus. Zur Herausbildung der neuen, christlichen Weltanschauung bei den Kiewer Russen hat ähnlich wie bei anderen europäischen Völkern - nicht nur die übersetzte kanonisierte Kirchenliteratur beigetragen, sondern auch die Apokryphen, die zu breiten sozialen Schichten einen starken Zugang fanden. Die apokryphen Werke vermittelten dem Volk meistens nützliche Erkenntnisse und erzogen es zur Treue gegenüber der christlichen Religion und zur christlichen Ethik. Die hohe Bedeutung der Apokryphenliteratur für die Entwicklung der mittelalterlichen Kultur läßt sich nur mit der der Bibel vergleichen. Die von Byzanz und Bulgarien transplantierten apokryphen Erzählungen wurden, nachdem sie spezifische lokale Elemente in sich aufgenommen hatten, recht bald russifiziert. Die apokryphen Schriften nahmen in der altrussischen Literatur eine bedeutende Stelle ein: sie beeinflußten die Chroniken, die kirchlichen erbaulichen Schriften, die Reisebeschreibungen über das Heilige Land, sie wirkten auf die Ikonenmalerei befruchtend; ihr Einfluß erstreckte sich auf die Folklore, so auch auf deren wichtige Gattung, die geistlichen Volksgesänge (duchovnye stichi). Die Apokryphen vermittelten den neuberkehrten Ostslawen aber auch in heidnischen und häretischen Anschauungsformen wurzelnde Sagen, Legenden, Vorstellungen, Kulte, Glaubenslehren bzw. Fragmente von ihnen. Nachdem sie auf den russischen Boden verpflanzt worden waren, trafen sie hier auf lokale kosmologische Vorstellungen und verflochten sich mit ihnen. Auf solche Weise kamen im Kiewer Staat, nachdem er sich zum Christentum bekannt hatte, die Vorstellungen des Volkes von Gott, der Welt und den Menschen in einem bedeutenden Teil der an der Grenze zwischen der Folklore und der schriftlichen Literatur liegenden geistlichen Volksgesänge zum Ausdruck. Die Erforschung der Apokryphenliteratur und der geistlichen Volksgesänge, bzw. ihrer Wechselwirkung, ermöglicht uns ein besseres Verständnis dafür, wie sich im Bewußtsein der mittelalterlichen Russen die Aspekte der heidnischen und der - kanonischen, bzw. apokryphen christlichen Kultur miteinander verbanden. In der Arbeit wird der Problematik des Übergangs, also der Transformation und der Verschmelzung der verschiedenen Weltbilder eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 413