A Debreceni Déri Múzeum Évkönyve 1999 (Debrecen, 2000)

Néprajz - Vajda Mária: „Gevatterin, gib mir Quartier ...” Beiträge zur sexuellen Beziehung von Pate und Patin in der ungarischen Volkstradition

Mária Vajda „GEVATTERIN, GIB MIR QUARTIER ..." Beiträge zur sexuellen Beziehung von Pate und Patin in der ungarischen Volkstradition Das ungarische Wort komaság (Patenschaft) bezeichnet im volkstümlichen Gebrauch im All­gemeinen das Verhältnis einer Gruppe, die aus zwei oder mehreren Paaren unterschiedlichen Ge­schlechts besteht, die gegenseitig oder einseitig Paten der Kinder des jeweils anderen Paares sind, an der Taufzeremonie aktiv teilgenommen haben bzw. beim auf die Taufe folgenden Essen und Fest zugegen waren. Zur Patenschaft gehören die Paten und die Patinnen. In patenschaftliche Beziehung mit einer Familie zu treten, ihr Kind unter das Taufwasser zu halten, war eine außergewöhnlich ehrenvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Man ging davon aus, dass die Taufpaten die Seele des Kindes aus dem Heidentum erlösten und in seinem Namen ein Versprechen abgaben. Gegenüber der tatsächlichen Verwandtschaft zeichnete sich die Patenschaft aus und kam zustande durch die Freund­schaft und gute persönliche Beziehung der Taufpaten. Die Paten halten einander für ihre besten Freun­de und festen Stützen, mit deren moralischer, materieller und physischer Hilfe sie jederzeit rechnen können. Bei Familienfesten kommt ihnen eine ehrende und herausragende Stellung und Rolle zu. Die Patenschaft ist eine Form der künstlichen Verwandtschaft. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Paten und Patinnen keine Blutsverwandten, sondern gewählte Verwandte: künstliche Verwandte. Die vorliegende Arbeit nähert sich der Erforschung des Patenschaftsystems von einem bisher nicht untersuchten, speziellen Gesichtspunkt her: sie unternimmt es, diejenigen Daten zu erfassen, die sich auf die Existenz einer sexuellen Beziehung zwischen den in patenschaftlichem Verhältnis zueinander Stehenden beziehen. Zahlreiche Daten verweisen nämlich darauf, dass zwischen den in patenschaftlichem Verhältnis zueinander Stehenden nicht selten ein sexuelles Verhältnis zustande gekommen ist. Diese Erscheinung spiegeln auch die in den verschiedenen Gattungen der Volks­dichtung auffindbaren Daten. In den zahlreichen Varianten der ungarischen Volksmärchen können wir auf die sexuelle Be­ziehung der in patenschaftlichem Verhältnis zueinander Stehenden stoßen. Auch die Eheschließung in taufpatenschaftlichem Verhältnis zueinander Stehender kommt vor. Häufig zieht die Patin den Patengeliebten ihrem eigenen Ehemann vor. Im Scherzkatalog der ungarischen Volksmärchen bilden die Geschichten eine eigene Gruppe, nach denen regelmäßig zwei Paten wetten, dass die Frau des einen auch nach dem Tod ihres Mannes treu bleibt. Der Mann stellt sich tot. Daraufhin zeigt sich die bisher ihrem Mann sich treu zeigende Frau sofort bereit, den Paten, der ihr die Ehe anbietet, zu heiraten. (Aath 1350 - Scherz vom Typ Die Geliebte) Einem anderen Typ entsprechend verspricht der Mann der Patin für ein Liebestreffen ein Geschenk, woraufhin sie, statt selbst hinzugehen, die Frau des Mannes hinschickt. Der Mann bemerkt den Tausch in der Dunkelheit nicht. Erst am nächsten Tag erkennt er am Geschenk, das er bei seiner Frau findet, den Austausch der Personen und fliegt auf. (Ungarischer Volksmärchenkata­log 1416. - Scherz vom Typ Der Mann beschenkt statt seiner Geliebten seine Frau). In den Geschichten vom Typ Pate und Patin rettet sich der die Patin besuchende Pate mit zahlreichen schlauen Einfallen aus seiner verzwickten Lage und bewahrt sich vor der Entdeckung. 225

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