Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)
Tante Verica Frau Grubics, geborene Veronika Relics. Sie wurde am 17. September 1926 in Rácmecske (seit 1938 Erdősmecske) geboren. Ihre Familie ist serbischer Abstammung, aber zu Hause sprachen sie auch deutsch. Sie wohnt seit 1948 in Pécsvárad. "Das ganze Dorf war freundlich und gut, wir lebten wie Geschwister zusammen. Wir mochten einander alle sehr gern. Es gab keinen Hass, so etwas gab es nicht, dass man sagte, dass dieser jenes ist und der andere das ist. Es gab auch Ungarn, so etwa fünf bis sechs Häuser, und fünf serbische Häuser. Alle anderen waren deutsche Häuser. Aber nicht die Nationalität zählt. Es ist unwichtig ob jemand, Ungar, Serbe, Schwabe oder sonst irgendwas ist. Nur der Mensch ist wichtig." Viele meiner Freundinnen wurden verschleppt. Drei von ihnen sind dort auch gestorben. Und jene die zurückgekehrt sind, wagten es nicht über das Geschehene zu sprechen, sie fürchteten sich. Ich war auch auf der Liste der Verschleppten, aber ich bin schlicht und einfach nicht erschienen. Sie suchten mich auch nicht. Ich hatte irgendwie keine Angst. Wovor hätte ich mich fürchten sollen, ich habe mich in meinem ganzen Leben nicht gefürchtet. Eine meiner Freundinnen (Resi) konnte als sie aus Russland zurückkam nicht mehr nach Hause zurückgehen, ihr Haus hat man weggenommen, dort wohnten Siedler. Diese waren gerade aus Vasas gekommen, aber es kamen auch welche aus Rumänien und aus Tschangos aber vor allem aus Vasas und aus Hetény kamen Arme und Besitzlose. Sie waren einige Jahre hier, als dann alles wieder leer war, kehrten sie wieder zurück. Zu uns schickten sie keine Siedler, aber auch in einge andere Häuser nicht. So kam es, dass Resi einige Jahre bis sie heiratete, bei uns lebte. Wir waren zusammen wie Geschwister. Was ich hatte, gehörte auch ihr. Es gab keinen Unterschied. Als auch ihr Vater zurückkehrte wohtne auch er bei uns, bis er irgenwann einen Platz für sich fand. Die jüngere Schwester der Resi war auch bei uns, aber damals ist Resi noch nicht aus Russland zurückgekehrt. Matyi, der Sohn Resis und mein Sohn Joci sind auch bis heute gute Freunde . Ich wünsche niemandem, dass er das miterleben muss, was ich mit anschauen musste. Das waren hässliche Sachen damals, es war eine hässliche Welt. Die Menschen hatten Angst, so habe ich ihnen auch geholfen. Ich war mit meiner Mutter gerade im Garten, als ich sah, dass man die Menschen mit Peitschen raustrieb, wie das Vieh. Eine der Frauen, die arme hatte einen halben Sack Mehl auf dem Kopf, ein Bündel Kleider unter dem Arm, sie konnte kaum laufen. Hinter ihr lief jemand, der trieb sie an. Meine Mutter traute sich nichts zu sagen, aber ich sagte ihr: "Tante Mari bleiben sie stehen, lassen sie das hier, sie können das doch nicht tragen, holen sie es später bei uns ab!" Der sie antrieb sagte nichts. Dann flüsterte mir Tante Mari zu: Tante Verica ist heute 82 Jahre alt.