Győry, Tiberius von dr.: Semmelweis' gesammelte Werke (Jena, 1905)
Vorwort
Vorwort. V zeugimg eine Wahrheit predigte, von der das Leben zahlloser Frauen im Momente der Erfüllung ihres hehrsten Lebensberufes abhängt, — und dass trotzdem diese dreizehn Jahre nicht genügten, seinen Lehren überall zum Siege zu verhelfen. Selbst nach dem Erscheinen seines grossen Werkes findet er mehr Gegner als Vertheidiger. Dies sollte sich bald, im Jahre 1861, auf der 36. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Speyer — noch drastischer offenbaren. Professor Lange aus Heidelberg war hier der einzige, der für seine Lehren eintrat, während sich die übrigen Redner — Hecker, Spiegelberg, Virchow, Roser, Betschier und Arnoldi — dagegen ablehnend aussprachen. Die Geringschätzung, ja selbst Verhöhnung, der nun Semmelweis ausgesetzt war, steigerten in ihm die Verbitterung, das Leben so Vieler gefährdet sehen zu müssen, die durch seine Massregeln zu retten gewesen wären. Kann es da Wunder nehmen, dass die Gut- müthigkeit dieses Mannes — denn als gutmüthig schildert ihn ein Jeder, der ihn persönlich kannte — endlich ein Ende nahm und er in scharfem Tone auf Jene losschlug, die sich seiner lebenrettenden Lehre entgegenstellen? — Wenn wir noch hinzunehmen, dass es ihm dabei nicht um sich selbst zu thun war — denn Eitelkeit war ihm fremd —, sondern immer wieder nur um das Leben der gebärenden Mütter, dann werden wir auch seine „Offenen Briefe“ in ihrem scharfen Ton als das Ringen um die Wahrheit, als die Bethätigung seiner überaus grossen Nächstenliebe ansehen und beurtheilen müssen, wobei es sich nicht um den Ton, sondern um das Leben Tausender, ja Millionen handelte. — Semmelweis’ Werke gestatten einen klaren Einblick nicht nur in seine objectiven Lehren, sondern auch in das Subjective seines edlen Wesens. Sein tragisches Lebensschicksal spiegelt sich wieder in seinen Schriften, vor Allem in seinem grossen Werke und in den „Offenen Briefen“. Sie werden durch die zahlreichen Biographien und Vorträge, zu denen sich die Besten unserer Wissenschaft so oft angeregt fühlten, aufs Schönste ergänzt; es sei in dieser Hinsicht vor Allem, unter vielen andern werthvollen Schriften, auf die Vorträge und Reden Hegar’s, Brack’s, Zweifel’s und Grosse’s hingewiesen.*) Die Begründung seiner Lehre war der Ausgangspunkt seiner Forschung, ihre praktische Durchführung das höchste Ziel seiner Thätigkeit; sie war der Inhalt seines Daseins, und ward zur Tragik seines Lebens. Denn es war ihm nicht gegönnt jene ungetheilte Anerkennung seiner Lehre, die ihr heutzutage gezollt wird, zu erleben. Das einzige Land, wo seine Lehren ohne Widerstand, ja mit offenen Armen aufgenommen wurden, war sein Vaterland Ungarn, wohin er 1850 zurückkehrte und wo er bis zu seinem Lebensende wirkte. Auch hier bereitete ihm allerdings administrative Kurzsichtigkeit manche Schwierigkeiten; von wissenschaftlicher Seite aber wurden seine Worte hier nie bekämpft. — Der Kampf, den er sein lebelang für seine Lehre zu führen hatte, spannte ihn gewissermassen ab, und wie zu einer Oase, flüchtete er *) Während der Drucklegung des vorliegenden Bandes erschien von Dr. Fritz Schürer von Waldheim unter dem Titel: „Ignaz Philipp Semmelweis-“ eine insofern werthvolle Arbeit, als sie die Urtheile der Mit- und Nachwelt über die Semmelweis’sche Lehre lückenlos mittheilt.