Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)
1818-1845. Kindheit und Jugendjahre
1 Kindheit und Jugendjahre. 1818 bis 1845. Als viertes Kind der deutschen Eheleute Joseph und Therese Semmelweis wurde Ignaz Philipp am 1. Juli 1818 zu Ofen geboren und römisch-katholisch getauft. Sein Vater war daselbst Kaufmann, seine Mutter eine Tochter des dortigen Kaufmannes Müller. Ignaz besuchte zunächst die Volksschule und das Gymnasium in dem damals durchwegs von Deutschen bewohnten Ofen. Er soll ein sehr guter Schüler gewesen sein. Die Schulen in Ungarn, zumal die Gymnasien, standen freilich nicht auf der Höhe, und in der Tat erwarb er sich eine recht mangelhafte Gymnasialbildung. Bekanntlich wird heute noch auf unseren Mittelschulen die schriftliche Ausdrucksweise über alles gepflegt und darüber das Sprechen, die freie Rede fast gänzlich vernachlässigt. Semmelweis machte es trotzdem zeitlebens große Schwierigkeiten, schriftlich in gehöriger Weise sich auszudrücken. Schreiben bedeutete für ihn einen sauren Kampf mit Grammatik, Orthographie und Interpunktionen. Daher seine „angeborene Abneigung gegen alles, was Schreiben heißt”.*) Und dies, obgleich er sprachliche Gestaltungsgabe, Phantasie, Schwung und Wärme der Empfindung in hervorragendem Maße besaß. Kein Zweifel also, daß das Ofener Gymnasium nichts taugte. Ungünstig wirkte auch das Bestehen zweier Landessprachen. Man lehrte beide, und keine gründlich. Semmelweis’ von Haus aus geringes Rednertalent wurde natürlich im Gymnasium noch weniger ausgebildet. Er blieb sein Leben lang ein mittelmäßiger Sprecher; sein deutscher Vortrag war schwerfällig, unbeholfen und niemals frei von Dialekt. Im gewöhnlichen Verkehre sprach er höchst ungezwungen in Wiener Mundart, sein Ungarisch aber war „immer von dem eigentümlichen Akzente tingiert, der österreichische Eingewanderte sofort als solche erkennen läßt”.**) Schwer sollte Semmelweis büßen für die unzulängliche Art seiner Ausbildung. Das eine Gute hatte aber das Ofener Gymnasium, daß es seinem Zögling nicht zuviel „Wissen” in den Kopf stopfte. Semmelweis *) Semmelweis, Ätiologie, p. V. **) Hirschler’s Aufzeichnungen. Dies läßt wohl darauf schließen, daß seine Eltern oder Großeltern aus Österreich nach Ungarn eingewandert waren. v. Waldheim, Ignaz Philipp Semmelweis. 1