Inventare Teil 9. Inventar des Verkehrsarchivs in Wien (1959)
Die Bestände des Verkehrsarchivs: - A. Selekte und Gesamtregistraturen von Hofstellen und Ministerien
21 ins Hintertreffen gegenüber Westeuropa und dem Deutschen Zollverein geraten, was ja bekanntlich zur schrittweisen Aufgabe des Staatsbahngedankens in der zweiten Hälfte des Bestandes dieses Ministeriums führte. Bei dieser Gelegenheit sei darauf verwiesen, daß die Hintergründe des Wechsels in der österreichischen Eisenbahnpolitik aus den Beständen dieser Zentralstelle nicht hervorgehen. Immer mehr geht die eigentliche Führung der Eisenbahnpolitik auf das Finanzministerium über, und der dritte Handelsminister, Georg Ritter von Toggenburg (seit 7. II. 1855), spielte gegen die überragende Persönlichkeit des Ministers Bruck eine mehr sekundäre Rolle. Auf die vom Staate gebauten Bahnen wird bei den ausführenden Dienststellen kurz hingewiesen; von den privaten Eisenbahngesellschaften, deren Bildung noch in dieser Epoche erfolgte, seien erwähnt: Elisabethbahn (Eröffnung Wien—Linz, 15. XII. 1858), Theißeisenbahn im östlichen Ungarn, Galizische Karl Ludwig-Eisenbahn (Krakau—Lemberg), Süd-Norddeutsche Verbindungsbahn zur Aufschließung des nordböhmischen Industriegebietes von Reichenberg sowie die Konzessionen der ungarantierten „Kohlenbahnen“ Aussig—Teplitz, Buschtéhrader Eisenbahn, Brünn—Rossitz und Graz— Köflach. Gab die Übernahme der Staatsbahnen in die staatliche Betriebsführung den unmittelbaren Anstoß zur Erlassung der grundlegenden Eisenbahnbetriebsordnung vom 16. XI. 1851 (RGBl. 1 ex 1852), wurde wieder die Aufgabe des Staatsbahngedankens durch die Veröffentlichung eines neuen Eisenbahnkonzessionsgesetzes vom 14. IX. 1854 (RGBl. 238) eingeleitet. Für das Aufsichtsrecht des Staates gegenüber den privaten Gesellschaften mußten erst neue Normen entwickelt werden, worüber Näheres im Abschnitt über die Generalinspektion gesagt wird. Weitere Beispiele sind Gesetze über das Zollverfahren bei Eisenbahnen, über die Anlage von Pferdestraßenbahnen, über die Uniformen der Beamten der Privatbahnen und über die Abgrenzung von Eisenbahn- und Bergbauunternehmungen; um auch einige Detailfragen zu nennen: es sind unter diesem Ministerium die ersten Schnellzüge und die ersten Fahrkarten mit dem Datumsstempel eingeführt worden. Auf dem Gebiete des Telegraphenwesens fällt die bedeutende Entscheidung der Zulassung von Depeschen für private Zwecke (1849). Über alle vorerwähnten Angelegenheiten geben die Archivquellen reichlich Aufschluß, sowie außerdem über Verhandlungen mit dem Ausland (Preußen, Sachsen, Bayern und mittelitalienische Staaten) zwecks Herstellung von Eisenbahnanschlüssen. Technische Probleme treten mit wenigen Ausnahmen (Preisausschreiben für die Semmeringlokomotive!) etwas zurück und sind eingehender bei den aus- führenden Stellen behandelt. Reichlich hingegen sind Unterlagen über allgemeine und spezielle Personalfragen. Für Forschungszwecke sind besonders wertvoll die Präsidialakten; das Geheime Protokoll betrifft ausschließlich finanzielle Probleme der Privatbahnen. Alle Bestände sind bereits im skartierten Zustand vom Präsidium des Handelsministeriums dem Eisenbahnarchiv in den Jahren 1898 — 1912 übergeben worden.