Inventare Teil 5. Band 7. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)

Die unter Vorbehalt des Privateigentumsrechtes hinterlegten Archivkörper und Sammlungen, von Fritz von Reinöhl

vom Ermessen des Ordenssouveräns abhängig, was schließlich deren Ende mit sich brachte. Insgesamt wurden 23 Generalkapitel abgehalten, deren letztes 1559 zu Gent zusammentrat. Auf sogenannten „Assembleen“ wur­den die Vorberatungen für sie gepflogen. Die Protokolle der Kapitel gehen in ihrer Bedeutung weit über die Ordensgeschichte hinaus. Die Verhand­lungen der Kapitel begannen nämlich damit, daß sich die Ordensritter vom jüngsten angefangen bis hinauf zum Chef und Souverän des Ordens, und zwar einschließlich dessen, einzeln aus dem Kapitelsaal zu entfernen hatten, damit in ihrer Abwesenheit über etwaige Verstöße gegen den Orden, derer sie sich schuldig gemacht hätten, und über ihre gesamte Lebensführung gesprochen werden könne. Das Ergebnis der Besprechungen wurde jedem Ordensmitglied nach Rückkehr in das Kapitel mitgeteilt. Formelle Ver­stöße gegen die Satzungen des Ordens, Vergehen gegen die beschworene Treue zum Ordenssouverän und zu den übrigen Ordensmitgliedern, welche die Pflicht einschloß, nicht die Waffen gegeneinander zu erheben, Verfeh­lungen im privaten Leben führten zu den sogenannten „Correctiones“, welche den Ordensrittern zu Teil wurden. Auch vor dem Chef des Ordens machte man nicht halt und mehr als einmal geschah es, daß er Regierungs­handlungen im Kapitel rechtfertigen mußte. So enthalten gerade diese Teile der gut erhaltenen Kapitelprotokolle wertvolle Charakterbilder der durchwegs hervorragenden Männer, die dem Orden angehörten, aufschluß­reiche Erklärungen der Souveräne über wirtschaftliche, politische und kriegerische Maßnahmen. Wertvoll sind auch die Aussprachen über An­schuldigungen gegen Ordensritter, welche politische Hintergründe hatten.1 Die Geschäfte des Ordens wurden gemäß den Statuten von den vier Ordensoffizieren geführt; es waren dies der Kanzler, der Tresorier, welcher den Schatz sowie die „réglements, chartes, privileges, fondations, car- tulaires etc.“ zu verwahren hatte, der Greffier, der die Kanzleigeschäfte zu besorgen hatte, und der Wappenkönig,1 2 genannt der Toison d’or. Aus der Tätigkeit jedes dieser Ordensoffiziere erwuchsen Registraturen, die je­weils auf die Nachfolger übergingen. Ein Archiv des Ordens wird zuerst am 29. Nov. 1477 erwähnt. An diesem Tage übernahm nämlich der Tresorier Jean Gros von seinem Vorgänger Guillaume de Clugny den Ordensschatz und das in zwei Koffern aufbewahrte Archiv, welches damals zum erstenmal inventarisiert worden sein dürfte. Man darf nach den Statuten annehmen, daß es jene Schriftstücke in sich schloß, welche für die Verfassung des 414 Unter Vorbehalt d. Privateigentumsrechtes hinterlegte Archivkörperu. Sammlungen. 1 Eine befriedigende Ordensgeschichte gibt es nicht. An neuerer Literatur ist zu nennen: Beiträge zur Geschichte des Ordens vom Goldenen Vlies im Jahrbuch des heraldisch- genealogischen Vereines „Adler“ Bd. I (1871), S. 2ff., 22f.; Zoller, Der Orden vom Goldenen Vlies, 1879; H. Kervyn de Lettenhove, La Toison d’or, Notes sur l’institution et l’histoire de l’ordre (depuis Pannée 1429 jusqu’ä l’année 1559), Bruxelles 1907; Rudolf Payer von Thurn, Der Orden vom Goldenen Vlies in der Monatsschrift „Donauland“, 2. Jahrgang, Heft 6; Derselbe, Der Orden vom Goldenen Vlies, Amaltheaverlag; Günther Probszt, Der Schatz des Ordens vom Goldenen Vlies, Wien-Augsburg 1926; Karl Brandi, Kaiser Karl V., München 1937. Von der älteren Literatur noch heute von Wert Reiffenberg, Histoire de l’ordre de la Toison d’or depuis son institution jusqu’ä la cessation des chapitres généraux tirée des archives mémes de cet ordre et des écrivains qui en ont traité, Bruxelles 1830. 2 Vgl. oben S. 347.

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