Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)

Die Urkundenabteilung von Paul Kletler

Einleitung. Die Urkunden sind der wertvollste Bestand jedes Archivs. Nicht nur, weil sie die endgültigen Formulierungen der großen Staatsverhandlungen ebenso wie des privaten täglichen Rechts- und Geschäftsverkehrs darstel­len, sondern vor allem, weil sie am weitesten zurückreichen, ursprünglich meist überhaupt fast den Gesamtbestand des Archivs ausmachen und so archivgeschichtlich die Keimzelle, die Basis der ganzen Entwicklung sind. Noch mehr im Vordergrund standen sie früher, im besonderen zur Zeit der Gründung des StA., infolge ihrer praktischen Bedeutung für die Ver­teidigung der Rechtsansprüche des Erzhauses (Bd. I S. 16*, 19*). Erst die Fortschritte der Erforschung der neueren Geschichte und der Ausbau des archivalischen Fachwissens haben auch andere Gattungen von Archivalien (Akten, Bücher, Briefe usw.) mehr beachten und schätzen gelehrt. Infolge dieser besonderen Stellung der Urkunden lassen sich gerade an ihnen die verschiedenen Methoden und Systeme archivalischer Behandlung gut be­obachten. Das Primäre ist selbstverständlich die unmittelbar aus dem Geschäfts­gang organisch erwachsene Registratur (Bd. I S. 13*), soweit man über­haupt von einer solchen sprechen kann, denn bis in das späte Mittelalter handelt es sich meist nur um eine Anhäufung von Urkunden, die durch keinerlei erkennbare Ordnung oder planmäßige Bearbeitung zu einer orga­nischen Einheit zusammengefaßt wurden. Dieser Urkundenbesitz ist selten in seiner ursprünglichen Lagerung beisammen geblieben. Meist hat man schon frühzeitig Archivbestände zu praktischem Zweck (zur Wahrung dynastischer Interessen, für Aufgaben der Verwaltung, für diplomatische Verhandlungen usw.) durch Auswahl nach dem Betreffsgrund­satz geteilt (in unserem Falle vor allem bei der Teilung von 1564) oder zusammengebracht, ergänzt, wie das z. B. noch für die Gründung des StA. aus den auf Rosenthals Vorschlägen beruhenden Dekreten Maria Theresias von 1749, 1750 und 1752 hervorgeht (Bd. I S. 17*). Darnach sollten aus den Schatzgewölbearchiven und sonstigen Registraturen zu Prag, Inns­bruck und Graz bestimmte Urkundengruppen — nämlich 1. Hausurkunden, 2. Urkunden betreffend die Gesamtmonarchie und 3. Urkunden betreffend die Rechte des Landesfürsten und die Verfassung der Länder (von diesen aus Innsbruck und Graz nur Abschriften) — nach Wien gebracht werden. Damals hat man auch künstliche Ordnungsschemen, Einteilungspläne nach Sachgruppen (Materien) entworfen (Bd. I S. 138* ff.). Schließlich aber siegt schon unter Rosenthals Nachfolgern, also noch im 18. Jahrhundert, die chronologische Reihung. Den Grundstock und Ausgangspunkt der Entwicklung des archivali­schen Bestandes des StA. überhaupt stellt, wie bereits im ersten Band S. 11*—15* ausgeführt wurde, das mittelalterliche Archiv der Herzoge von l*

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