Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Klosterarchive von Walther Latzke
484 Die Klosterarchive. Im Zusammenhang mit der zwischen 1600 und 1615 erfolgten Ordnung des urkundlichen Bestandes ist ohne Zweifel auch das heute noch erhaltene Kopialbuch (Diplomatar) der Kartause entstanden. Es ist dies ein Großquartband (36'3 X 27'5 cm) mit 162 Pergamentblättern.1 An der Abfassung waren drei Schreiber beteiligt, Hand A schrieb fob 1—85 v (obere Hälfte), fol. 86 und 86 v (mit Ausnahme der vier letzten Zeilen), Hand B fol. 86 v (die vier letzten Zeilen)—fol. 93 v und fol. 159 v—fol. 162, Hand C fol. 85 v (untere Hälfte) und fol. 94—159. Mit der Anlegung des Kopialbuches wurde wahrscheinlich nach 1615 begonnen, denn die jüngste von Schreiber A eingetragene Urkunde ist die Privilegienbestätigung des Kaisers Matthias vom 27. April 1615. Die beiden anderen Schreiber haben das Kopialbuch dann wesentlich später fortgesetzt. Das Kopialbuch beginnt mit dem Satz: „Incipit liber continens tenores omnium literarum et privilegiorum domus Vallis Omnium Sanctorum in Mauerbach ordinis Car- tusiensis fundatae et dotatae ab inclyto principe domino Fridrico rege Romanorum et ab illustribus ducibus Austriae, Leuppoldo, Alberto, Henrico et Ottone, fratribus dicti regis.“ Der erste Teil (fol. 1—84) entspricht in seiner Anlage der ersten Abteilung der oben besprochenen, um 1600 durchgeführten Archivordnung; die Reihenfolge der hier eingetragenen Urkunden (meist landesfürstliche, päpstliche und bischöfliche Privilegien) stimmt mit den Ordnungszahlen auf der Rückseite der Urkunden überein. Dann folgen auf fol. 85—111 Eintragungen verschiedenster Ar*t, Urkunden über den Seitzerhof und andere Güter in Wien, die Privilegienbestätigungen Ferdinands II. und Ferdinands III. über die Maut am Tabor (1635 Mai 20 und 1642 Aug. 19), sowie chronikalische Notizen über die Kirche der Kartause und die Kapelle zu Maria Himmelfahrt. Fol. 112—162 enthalten dann die Urkunden des Archivs über die Besitzungen außerhalb Wiens. Bei dem überwiegenden Teil aller Eintragungen des Kopialbuches zeigt sich eine höchst merkwürdige Erscheinung. Die Abschriften beginnen mit Regesten in lateinischer Sprache; bei näherem Zusehen ergibt sich, daß diese Regesten mit den Dorsualregesten der Ordnung von 1437 identisch sind. Sie wurden jetzt von den Originalurkunden (mitunter recht fehlerhaft) abgeschrieben und als Titel für die Abschriften des Kopialbuches verwendet. Sie reichen indes weit über 1437 hinaus; das jüngste Regest dieser Art ist die Überschrift zur Privilegienbestätigung Ferdinands I. vom 1. März 1523. Daß die Überschriften für die Urkunden von 1438 bis 1523 (die auf den Originalen selbst nicht vorfindlich sind) erst bei der Anlegung des Kopialbuches abgefaßt und den alten Regesten nachgebildet wurden, ist kaum glaublich, denn dann wären sie auch bei den eingetragenen Urkunden nach 1523 vorhanden; viel wahrscheinlicher ist es, daß man die Urkunden, wie schon oben dargelegt, 1437 mit den Regesten in einem Urkundenkatalog verzeichnete und diesen Katalog später bis 1523 weiterführte, ohne die Regesten auf die Rückseite der Originalurkunden selbst zu schreiben. Dafür sprechen auch die geringen noch erkennbaren Spuren einer Ordnung des Archivs aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. 1 StA., Hs. Böhm 165.