Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
14 Die Urkundenabteilung. im „Sagrär“, der Sakristei der Burgkapelle, seit dem 16. Jahrhundert im ersten Stock des Turmes mit der „Figur des Jägers mit dem Hirschen“ (d. i. des Westturmes der Burg) im „Schatzgewölbe“, wonach es gewöhnlich — auch rückwirkend für die ältere Zeit — Schatzgewölbearchiv genannt wird.1 Hierher wurde es vielleicht anläßlich der grundlegenden Einrichtung als Hauptarchiv durch den Sekretär der Innsbrucker Regierung Wilhelm Putsch in der Zeit von 1527—1547 (neben einem zweiten Zentralarchiv in Innsbruck)1 2 gebracht und blieb hier bis zur Neugründung des StA. durch Maria Theresia. Es war freilich im 18. Jahrhundert nicht mehr in der von dem Werke des Wilhelm Putsch erreichten Vollständigkeit beisammen. Denn bei der Teilung der österreichischen Erbländer im Jahre 1564 wurde auch das Archiv geteilt: wenig Urkunden kamen nach Innsbruck, viele nach Graz.3 Und das war um so schlimmer, als für die Zuweisung der Archivalien damals nicht ihre Provenienz, sondern ihre praktische Bedeutung für die Bedürfnisse der Verwaltung maßgebend war; die Teilung erfolgte nach dem territorialen Betreff, wodurch alte Urkundenbestände zerrissen wurden.4 * Und wenn auch im 17. Jahrhundert, dann in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und besonders durch Rosenthal um die Mitte des 18. Jahrhunderts manche Urkunden aus Innsbruck wie aus Graz wieder nach Wien zurückkamen6 und schließlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Schäden der Teilung von 1564 in bezug auf die Vollständigkeit des alten 1 Vgl. hierüber Otto H. Stowasser, Das Archiv der Herzoge von Österreich, 1919, S. 1—5, 7, 9 Anm. 1, 11; G. Winter, a. a. 0. S. 8, 40; 0. v. Mitis, Studien zum älteren österr. Urkundenwesen, 1912, S. 260 ff.; L. Bittner in der Einleitung dieses Werkes, Bd. I S. 13*ö., 125*. Die hier S. 15* gebrachte Zusammenstellung der Nachrichten über das Schatzgewölbe für die Zeit 1547—1749 ist noch, wie folgt, zu ergänzen. Nach freundlicher Mitteilung des Herrn Dr. Richard Drögereit in Hannover soll das Testament König Georgs I. von England laut eines Empfangscheines des Oberstkämmerers Grafen Rudolf Sigmund Sinzendorff vom 4. Nov. 1716 im Schatzgewölbe hinterlegt worden sein; die Tatsache der Hinterlegung wird auch durch das Protokoll der Geheimen Konferenz vom 15. Aug. 1727 bestätigt. Heute befindet sich die Urkunde jedoch nicht mehr im StA. * Über Wilhelm Putsch und sein Werk siehe Otto H. Stowasser a. a. 0. und Franz Hüter in: Historische Blätter, herausgegeben von Lothar Groß, 7. Heft, 1937, S. 89—96. — W. Putsch war väterlicherseits ein Neffe des 1521 verstorbenen Kammerdieners Kaiser Friedrichs III. und Maximilians I., Ulrich Putsch, mit dessen Tochter Anna Cuspinian vermählt war. Dieser nennt ihn in seinen Werken einen „vir antiquitatis studiosus“ (Caesares, Ausgabe 1540, S. DLXIII) und an anderer Stelle (Austria, Ausgabe 1553, S. 638) einen „antiquitatis zelator Studiosus“; Cuspinian erwähnt an diesen Stellen auch — freilich nur ganz allgemein — Putschens Tätigkeit im österreichischen Haus- und Staatsarchiv. Daß Cuspinian der erste Leiter des Staatsarchivs (oder der Hofbibliothek) gewesen sei, ist eine Legende, die wohl auf die Vorrede des Nikolaus Gerbelius zur Erstausgabe der „Caesares“ zurückgeht, wo es von Cuspinian heißt: „Patebant enim ei ex caesaris liberalitate et beneficentia omnes undique vetustiores bibliothecae, omnia ducum Austriae secretiora scrinia et äp/tTa“. Vgl. H. Ankwicz v. Kleehoven im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 48. Bd., 1927, der W. Putsch jedoch irrig als Neffen Cuspinians bezeichnet. Danach berichtige Bd. I S. 12* Anm. 4. 3 Siehe später die einschlägigen Ausführungen. 4 Vgl. z. B. Reg. des StA. Z. 2/1785 über die Teilung von 1564. Da die Pfalzgrafen von Kärnten zugleich Herren von Trient und Görz waren, den Teilungskommissären aber die „Kenntnis dieser Länder, ihrer Gränzen und der in ein so andern gelegenen Güter“ mangelte, so gerieten viele Urkunden in das Grazer Schatzgewölbe, die nach Innsbruck gehörten und noch mehr umgekehrt. 6 Siehe Bd. I S. 17*.