Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)

Einleitung

42* Einleitung. bis dahin auch keine rechtliche Verpflichtung zur Regelung der Archiv­fragen vor. Die später, im Jahre 1927 in einzelnen polnischen Zeitungen gemachten Anregungen, die Methoden von 1920 neu in Anwendung zu bringen,1 fanden im eigenen Lande keinen Anklang. Das am 26. Oktober 1932 Unterzeichnete Abkommen vermeidet, wie gesagt, die größten Härten des Prager Abkommens, bringt aber Polen grundsätzlich die gleichen über den Friedensvertrag hinausgehenden Zugeständnisse. Es ist nicht einzusehen, wie überhaupt eine Grundlage für einen „kollektiven Druck“ der Nach­folgestaaten, dessen Zustandekommen nach Ansicht eines tschechoslowaki­schen Kritikers durch das österreichisch-polnische Abkommen erschwert worden sein soll,1 2 gefunden werden könnte. Eine solche Grundlage könnte nur der Friedensvertrag und das oben angeführte römische Abkommen bieten, die einzigen Verträge, die von allen Nachfolgestaaten unterzeichnet wurden. Das römische Abkommen wiederholt hinsichtlich des archivali- schen Besitzstandes wörtlich die Bestimmungen des Friedensvertrages. Da diese in allen anderen Archivverträgen voll berücksichtigt, ja in wesent­lichen Bestimmungen zugunsten der Nachfolgestaaten erweitert worden sind, so hätte „ein kollektiver Druck“ keinerlei rechtliche Grundlage. Da­gegen möchten wir dem tschechoslowakischen Kritiker recht geben, wenn er sagt, daß das polnische Abkommen, „was zu begrüßen ist, Zeichen einer freundschaftlichen Verständigung trägt“. Deswegen wird es sich auch für die wissenschaftliche Zusammenarbeit fruchtbarer erweisen als die früheren Verträge, denn wissenschaftliche Zusammenarbeit gedeiht nun einmal auf dem Boden freier Vereinbarung und voller Gleichberechtigung besser als auf dem Boden des Zwanges und des „kollektiven Druckes“. Dieser Weg wurde seither durch die Kulturabkommen mit Italien vom 2. Februar 1935 (BGBl. 1935, Nr. 138, Art. 15) und mit Ungarn vom 4. März 1935 (BGBl. 1935, Nr. 318, Art. 12) beschritten, die, zum Unterschied von den harten Archivverträgen, die nur auf die amtliche Benützung abgestellt sind,3 zum erstenmal auch die private wissenschaftliche Forschung, den eigent­lichen Nährboden freier Entfaltung der Wissenschaft, in ihren Bereich ziehen und für diese eine gegenseitige Unterstützung Zusagen. Das Ab­1 Die polnischen Zeitungen „Gazeta Poranna“ vom 17. Okt. 1927, No. 8294 und „Dziennik Lwowski“ vom 17. Okt. 1927 brachten nach einem Vortrag des Lemberger Archivdirektors Dr. Eugen Barwinski folgende Aufforderung: „Man möge den Bewohnern Österreichs, seinen Politikern und den Vertretern von Handel und Industrie zu verstehen geben, daß der unversöhnliche Standpunkt ihrer Archivare ihre Lebensinteressen auf sehr schädliche Weise berühren könnte. Es ist begreiflich und natürlich, daß es Pflicht unseres Publikums ist, seinen Bedarf an ausländischen Artikeln nicht in jenem Lande einzudecken, das uns auf diese Weise schikaniert, sondern in den uns freundschaftlich gesinnten Staaten, wie z. B. in der Tschecho­slowakei.“ 2 Siehe die oben S. 39* Anm. 5 zitierte Arbeit. 3 Nur Art. XIII des Abkommens mit Rumänien vom 5. Okt. 1921 (BGBl. 1922 Nr. 583) und Art. XVII des Abkommens mit Jugoslawien vom 26. Juni 1923 (BGBl. 1923 Nr. 602) beschäftigen sich mit der privaten Forschung. Sie legen der österr. Bundesregierung eine befristete Verpflichtung auf, Archivalien aus einer be­stimmten Epoche (für Rumänien ab 1866, für Jugoslawien ab 1900) der wissen­schaftlichen Benützung vorzuenthalten.

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