J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 11. Die Geheime Ziffernkanzlei
nicht die Geheime Ziffernkanzlei die Arbeiten der Postlogisten an jenem Punkte aufgenommen und fortgeführt hätte, an dem diese haltmachen mußten: alle chiffrierten Mitteilungen, die sie auf spürten und in zifferngetreuen Interzepten einsandten, blieben wertlos, solange nicht die Geheime Ziffernkanzlei den Ziffernschlüssel entdeckt und den Inhalt enträtselt hatte. Wie Cobelli angibt, hatte sie ihre Begründung dem Grafen Stella, einem in den französischen Einrichtungen ähnlicher Art wohlbewanderten Spanier, der Karl VI. nach Wien gefolgt war, zu verdanken. 1734 hören wir von einer Verbesserung, 1746 von einer Neueinrichtung des „Visitations- und Inter- ceptionswerkes“. Seit ihrer Gründung war die Geheime Ziffernkanzlei — das „Hehler- und Stehlernest“, wie sie Hormayr nannte, der Österreichs „Leichdornen“ gar wohl kannte — zunächst bis 1812 selbständig, dann aber dem kaiserlichen Kabinett eingegliedert, mit dem es überdies durch die Person des dirigierenden Kabinettssekretärs verbunden war, und bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1848 mit ihren Beamten in der Stallburg untergebracht. Welch hoher Leistungsfähigkeit sie sich schon um 1750 unter der Leitung ihres Direktors, des Kabinettssekretärs Baron Koch, bei einem Beamtenstande von etwa zehn Personen, erfreute, das zeigt der geheime Briefwechsel desselben mit Kaunitz1 2) auf das deutlichste. Nicht umsonst hat sich Talleyrand während der französischen Okkupation von 1805/06 just für die Stallburg interessiert. Als Metternich in die Staatskanzlei einzog, war der geheime Zifferndienst in Verfall begriffen. Untätig überließ der Direktor desselben, der hochbetagte, im Zifferndienst der Reichskanzlei herangebildete Kabinettssekretär Hofrat Kronenfels, alles dem Zufalle und ging den technischen Fortschritten, die seit der Französischen Revolution auf dem Gebiete der geheimen Korrespondenz erzielt worden waren, aus dem Wege. Kaum einmal im Jahre besuchte er die Kanzlei und gab damit seinen Beamten ein übles Beispiel3). Die Einführung einer englischen Kopiermaschine und die Kenntnis der verbesserten chemischen Schreibmethoden hatte die Geheime Ziffernkanzlei lediglich dem privaten Eifer des Chevaliers Landriani, eines hervorragenden Fachmannes (S. 13), zu verdanken; nach seinen Angaben waren unter Cobenzl Briefe solcher Art teils lesbar gemacht, teils geschrieben worden3). Je empfindlicher Menge und Gehalt der von der Geheimen Ziffernkanzlei gelieferten Interzepte zurückgingen, um so entschiedener drang Metternich auf die Ernennung eines geschickten und tätigen Vorstandes, der neue Entdeckungen auch ohne fremde Impulse zu machen imstande war, und auf die Abstellung des alten „Schlendrians“. Am liebsten hätte er die Geheime Ziffernkanzlei unmittelbar unter die Leitung der Staatskanzlei gebracht, von der sie — aus den geheimen Geldern — ihre Jahresdotation empfing4). Die Aufgaben der Geheimen Ziffernkanzlei waren zweifacher Art. Der Wiener Postloge nahm sie die Eröffnung und Durchforschung der von dieser hiezu ausgewählten Briefschaften ab (S. 15). Daneben aber befaßte sie sich auch — und dies war ihre vorzüglichste Aufgabe — mit der Auflösung jener *) H. S c h 1 i 11 e r, Corr. secrete entre Kaunitz et Koch 1750—1752. 2) Vorschlag zur Verbesserung des Geh. Ziffernkabinettes (r811) Kaiser Franz- Akten 163; 1786 XII 8 Billett an Kaunitz Protokoll n. 966. 3) Memoire (Anm. 4 S. 4); A. Fournier, Gentz und Cobenzl 108. 4) Vortrag 11 VIII 19 Vorträge 279; Hudelist an Mett. 11 VIII 28 Interiora 74; Billett an Mett. (Entwurf) 1827 Vorträge 371. 28