J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 2. Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Metternich (1935)

V. Gentz und Metternich - 2. Metternich

Gentzens unmittelbarem Arbeitsgebiet, auf dem er sich von 1810 an mehr als zwei Jahrzehnte lang bewegt hat 790). Das „türkisch-griechische Geschäft“ der Zwanzigerjahre machte sich Gentz zum Gegenstände besonderen Studiums. Audi in finanzieller Hinsicht hatte es ihm, wie wir wissen, viel zu bedeuten. Zeitweilig führten es Metternich und Gentz allein, ohne daß jedoch darüber der Staats- und Konferenzrat Stürmer und der ordentliche orientalische Referent Baron Brenner aus ihren Wirkungskreisen verdrängt worden wären. Gentzens Aufgaben waren doch nur ihm fallweise mündlich aufgetragene Redaktionen und nicht zuletzt die betreffenden Artikel des österreichischen Beobachters791). Dazu Übersetzungen diplomatischer Aktenstücke, zumal aus dem Englischen. Der engen Verwandtschaft entsprechend, in der in der Geschäftseintei­lung der Staatskanzlei die orientalischen und die handelspolitischen Ange­legenheiten zueinander standen — der Orient war ja das Hauptbetätigungs­feld des österreichischen Handels —, ist Gentz auch zu den handelspoliti­schen Geschäften der Staatskanzlei herangezogen worden. Schon 1812 hat er sich mit einer Ausarbeitung über die Rechte der neutralen Schiffahrt versucht 792) und später die Piratereien der Barbaresken ebenso in sein Arbeitsgebiet einbezogen wie die venezianischen Prisengerichte oder —* was damals gleichfalls von der handelspolitischen Abteilung der Staatskanzlei verfolgt wurde — die brasilianischen Wirren der Zwanzigerjahre 79S). Einen so vielseitig verwendbaren Mitarbeiter von so ungewöhnlichen Eigenschaften in einer ihm eigenen „Art von Ausnahmsverhältnis“, den Metternich 1812 unter die deutschen Gelehrten gezählt und Ranke 1827/28 als einen ernsten, tiefen und pflichteifrigen Mann ohne jede Frivolität ken­nengelernt hat794), hat jener nicht mehr zu gewinnen vermocht. Seine Stelle konnte in der Tat nicht mehr ausgefüllt werden 79s). Auch im gesell­schaftlichen Leben nicht mehr, das Gentzens munteres, geistvolles Wesen schmerzlich vermißte. Und je schwerfälliger sich Jarcke, Gentzens Nach­folger, erwies — „un Gentz au petit pied“, der nur diejenigen belehrte, die der Unterweisung nicht bedurften —, um so dankbarer erinnerte man sich des seltenen und seltsamen Mannes, der „ein Mensch war“ — nichts Besseres wußte Prokesch über ihn zu sagen — und durch den Mut, mit dem er dem Tode ins Auge blickte, viele versöhnt hat, die an seinem Lebens­wandel Anstoß genommen hatten 798). 2. Metternich. A. Stellung. Metternich war Botschafter in Paris, als der Krieg von 1809 ausbrach. Auf einer abenteuerlichen, von ihm oft erzählten Reise durchquerte er in 79°) A. Graf Prokesch-Osten, Fr. v. Gentz, Zur Gesch. d. Orient. Frage (Briefe 1823—29). 791) 22 XII 4 Gentz an Grillparzer (?) Interiora 95; L. As sing 1. c. 3, 26; F. W i 11 i c h e n 1. c. 2, 340. 792) K. Varnhagen, Gentzens Tagebuch 266. 793) 24 II 7 affaires du Brésil Rußland, Korresp. 6. 79t) L. Ranke 1. c. 66, 181, 639. 795) K. Varnhagen, Galerie 2, 194; H. v. S r b i k 1. c. 1, 522. 796) Aus den Tagebüchern d. Grafen Prokesch-Osten 173, 206, 219; K. Varnhagen, Galerie 2, 191; Denkwürdigkeiten 8, 80, 94. 137

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