J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 2. Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Metternich (1935)

IV. Der Beamtenkörper der Staatskanzlei - 2. Besonderheiten

Eine maßgebende Rolle hat ohne allen Zweifel bei den vorerwähnten Besonderheiten verwandtschaftlicher Art der Beweggrund der unbedingt und in denkbar größtem Ausmaße erforderlichen Vertrauens­würdigkeit gespielt. Kein anderes Amt eröffnete einem unredlichen Beamten größere und verlockendere Möglichkeiten zu hochverräterischen Handlungen und zu Judaslöhnen von schwindelnder Höhe als der Außen­dienst der Staatskanzlei. Das war Metternich wohlbekannt und eben auf dem Gebiete des Gehaltswesens hat er zu wiederholten Malen darauf hin­gewiesen, wie häkelig die Agenden der Staatskanzlei seien und wie Tät­lich es erscheine, die Staatskanzleibeamten — zumal die der unteren Rang­klassen — allen Nahrungssorgen und allen Geldverlegenheiten und damit allen Versuchungen zu entrücken6B1). Man müsse bedenken — so hat sich Metternich 1829 der Kuriere angenommen —, daß sich ein Kurier durch Untreue leicht Tausende erwerben könne, und als es sich im näch­sten Jahre darum handelte, Gentzens zerrüttete Finanzen in Ordnung zu bringen, da sprach sich Metternich Kaiser Franz gegenüber unumwunden dahin aus, daß ein Mann, der so tief in den politischen Gang des Staates eingeweiht sei, nicht mehr freigelassen werden könne: es handle sich da um „wahre Staatsrücksichten“ 651 652 *). Wie wachsam Metternich in diesen Dingen gewesen ist, zeigen einige sehr lehrreiche Beispiele. Graf Mercy mußte sich sogleich rechtfertigen, als man ihn der Schwägerschaft mit einem französischen Minister verdächtigte. Und als die Wiener Polizei während Metternichs Pariser Abwesenheit von 1810 Hoppé insgeheim ihre Auf­merksamkeit zuwandte, da ist der Staatskanzler nach seiner Rückkehr mit der größten Entschiedenheit für ihn eingetreten: Hoppé verdiene ein vollkommenes oder gar kein Vertrauen und der geringste Zweifel schon müßte ihn aus seiner Vertrauensstellung entfernen; anderenfalls hätte er sich längst Millionen erwerben müssen 65S). Hoppés Unschuld stand Metter­nich, dem Napoleon soeben in Paris „Hunderte von Beweisen“ gegeben hatte, „daß er in den meisten Verhältnissen oft ganz falsch oder gar nicht sah“, außer allem Zweifel. Casaqui aber, der Adjunkt der politischen Registratur, lief 1813 — als er sich zur Rettung seines väterlichen Ver­mögens eine lettre patente Napoleons zu erwirken verstand — Gefahr, seinen Posten zu verlieren, oder ihn doch wenigstens mit einem der viel harmloseren administrativen Registratur vertauschen zu müssen 654). Daß sich diese Vertrauenswürdigkeit zuweilen auch in kleinlicher Geheimnis­krämerei ausgewirkt hat, davon wußte Friedrich Schlegel zu erzählen: hatte er in der Staatskanzlei ein fremdes Zimmer zu durchschreiten, dann hielten die Beamten gleich die Hand vor das Papier, damit er ja nichts er­spähen könne 85B). Dieselbe Sonderstellung, deren sich die Beamtenschaft der Staatskanzlei zu erfreuen hatte, kam auch ihr selbst zu. Als eine 651) 29 III 26 Mett, an Kolowrat Minister Kolowratsakten 514/1829; 33 XI 25 Vor­träge 406. 652) 29 XII 19, 30 V 4 Vorträge 383, 386. e53) 14 XI 23, 10 VIII 17, XI 15 Vorträge 290, 274, 27Ő. •“J 13 II 26 Vorträge 284. ®56) C. Klinkowström, Aus d. alt. Registratur 175. 112

Next

/
Thumbnails
Contents