Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn

erzählt, von den Berichten der österreichischen Gesandtschaft am Reichstag überhaupt keine Kenntnis mehr erhielt, weil man ihm mißtraute. Anderer­seits wurde aber Walderdorff trotz dieses in Hof kreisen herrschenden Miß­trauens vom Kaiser zu diplomatischen Missionen, wie wir noch sehen werden 179), herangezogen und verstand es jedenfalls, die Gunst des Kaisers in solchem Grade sich zu sichern, daß er 1669 zum Bischof von Wien er­nannt wurde. Die Hoffnung auf diesen Bischofssitz soll ihm seiner eigenen Aussage zufolge bei der Verteidigung der Rechte des Vizekanzlers lässig haben werden lassen 179 a). Das Fehlen jeglichen Protestes von seiner Seite, von dem sich sonst doch in den Akten Spuren finden müßten, beweist dies auch deutlich. Der Wechsel auf dem Vizekanzlerposten nach Walderdorffs Berufung auf den Wiener Bischofsstuhl vollzog sich reibungslos. Ohne Schwierig­keiten einigten sich Kaiser und Erzkanzler auf den Reichshofratsvizepräsi­denten Leopold Wilhelm Graf Königsegg, der zu wiederholten Malen Walderdorff vertreten hatte 18°). Es war keine angenehme Erbschaft, die Königsegg antrat. Er sollte erst die volle Wucht des Angriffs der Hof- kanzlei auf ihre ältere Rivalin zu spüren bekommen. Nicht minder traurig waren die inneren Kanzleizustände. Zunächst dauerte es weit länger, als es Königsegg und dem Erzkanzler erwünscht sein konnte, bis die provisorische Verwaltung des Reichsvizekanzleramtes durch Königsegg, die ihm schon am 26. Juli 1669 übertragen worden war, durch seine förmliche Installation als Vizekanzler am 18. November beendigt wurde. Die Ursache der langen Dauer dieses Provisoriums war die Frage, ob Königsegg das Amt eines Vizekanzlers mit seiner Stelle als Vizepräsident des Reichshofrates vereinigen könnte. Auf die letztere aspirierte Graf Wolf von öttingen, der Sohn des Reichshofratspräsidenten, und Vater wie Sohn setzten alle Mittel in Be­wegung, um Königsegg zum Rücktritt zu zwingen. Dieser wehrte sich heftig gegen diese Zumutung, berief sich auf den Präzedenzfall unter dem jüngeren Stralendorff und überzeugte auch den Erzkanzler, daß dessen Prestige und Interesse ein Zurückweichen in dieser Frage nicht zulasse. Nachdem der Erzkanzler eingegriffen hatte und Königsegg einen Revers ausgestellt hatte, ließ der Kaiser ihn als Vizekanzler beeidigen und instal­lieren und erklärte, daß Königsegg bis zu seiner Ernennung zum Geheimen Rat Vizepräsident bleiben sollte 181). Der Streit hatte eine das persönliche Interesse weit überragende Bedeutung. Blieb der Vizekanzler auch weiter Vizepräsident des Reichshofrats, war sein Vorsitz in Abwesenheit des Prä­sidenten nicht zu bestreiten, anderenfalls aber mußte man mit Streitig­keiten rechnen, wie sie unter Walderdorff gewesen waren. Gleichzeitig suchte sich Königsegg gegen die Übergriffe der österreichischen Hofkanzlei zur Wehr zu setzen. Hier waren es besonders die Verhältnisse in der Reichstagsdeputation, die ihm Sorge machten. Die Frage des Vorsitzes war zwar nun dadurch entschieden, daß Hocher, der an Stelle des nie er­scheinenden zum Vorsitzenden ernannten Reichshof ratspräsidenten jetzt 178 178) Vgl. unten S. 341. 179a) So schreibt Königsegg an den Erzkzl. 1672 Jan. 14. i. Mzer. R. K. 3. 18°) Eine Bewerbung des Reichshofrats Emmerich Friedrich Freiherrn von Walderdorff um die Vizekanzlerstelle lehnte der Erzkanzler ab (Mzer. R. K. 3). 18±) Vgl. die Korrespondenz i. Mzer. R. K. 3. 53

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