Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
angesichts der Zerrüttung des ganzen Kanzleiwesens unter Rudolf II. und der schwierigen Verhältnisse, die daraus entsprangen, daß ja neben der Reichskanzlei noch die königliche Kanzlei Mathias’ bestand, sehr verständlich. Die nächste Aufgabe Ulms mußte die Vereinigung dieser beiden Kanzleien, von denen ja die königliche überflüssig geworden war, sein. Es handelte sich darum, welche von den Kanzlisten, deren weit mehr als die vorgeschriebene Zahl von 14 waren, entlassen werden sollten. Einesteils wollte man die Kanzleischreiber der Wiener Hofkanzlei möglichst schonen, da dies einem Wunsche des Kaisers entsprach, andererseits fürchtete man, aus den Taxgefällen nicht sämtliche vorhandenen Kanzleipersonen besolden zu können. Zunächst wurden von Ulm am 13. Dezember 1612 die beiden Kanzleien förmlich vereinigt und nach Verlesung der Kanzleiordnungen die Beeidigung des gesamten Personals mit dem Vorbehalte späterer Ausmusterungen vorgenommen. Die Kanzlei bestand nach der Eidesleistung aus dem Reichssekretär Pucher, dem niederösterreichischen Hofsekretär Grapler, dem lateinischen Konzipisten Questenberg, dem Taxator Mechtl, den drei Registratoren Sartor, Kholl und Findtsguet, dem provisorisch aufgenommenen Reichshofratsprotokollisten Johann Hueber, 14 Kanzleischreibern der deutschen und 4 der lateinischen Expedition sowie zwei Kanzleidienern. Zu diesen kamen dann später noch die drei ältesten und geschicktesten Beamten der Wiener Kanzlei, der Expeditor Partinger, der lateinische Konzipist Tharsia sowie der Schreiber Liebenberger, die am 13. Dezember noch nicht in Wien gewesen waren, und zwei provisorisch aufgenommene Schreiber hinzu, außerdem hatte man einen Beamten in Prag zurückgelassen 113). Trotz dieser hohen Zahl von Kanzleikräften, die diese „Reichshofkanzleireformation“ 114) noch immer übrig gelassen hatte, erfuhr aber der Personalstand in den nächsten Jahren noch eine Vermehrung. Wenn auch die Tatsache, daß Ulm es nicht vermochte, den Stand der Kanzleischreiber auf die vorgeschriebene Zahl von 14 herabzudrücken, nicht für seine besondere Energie zu sprechen scheint, so wird man doch auch in Betracht ziehen müssen, daß sich die Agenden der Kanzlei jetzt wieder auch über alle Erbländer der Habsburger erstreckten und jedenfalls im Vergleich zu Rudolfs letzter Regierungszeit stark gewachsen waren. Die Ordnung in der Kanzlei wurde jetzt unter Ulm unbestreitbar eine weit bessere als unter seinen Vorgängern, mochte man ihm auch da und dort Schwierigkeiten in den Weg legen 115). Viel bedenklicher als diese wurde für die Entwicklung 113) Vgl. über diese Vorgänge das Protokoll v. 13. Dez. 1612 i. Mzer. Wahl- u. Krön. A. 8 a, Bd. 2, fol. 83 v, und das Schreiben Ulms an den Erzkanzler v. 25. Dez. 1612 ebda. fol. 82. — Die Namen der Wiener Kanzlisten waren: Andreas Neubeck, Tobias Gerdinger, Mathias Marcus, Hans Gerastorffer, Simon Kopawer, Joh. B. Raidt und Barthol. Mägerle, die der Prager: Kaspar Schreylehner, Johann Kalhardt, Mathias Ferre, Johann Heller, Volmar Hartleben, Georg Freysinger, Marx Werner, die der lateinischen Expedition Thomas Oli verius, Adam Kazmair, Johannes Questenberg und Gerhard Zwethen. Später kamen noch hinzu Georg Straub und Melchior Schluttnidk, in Prag zurückgeblieben war Gerhard Ostermay. 114) Ein kais. Dekret v. 18. Dez. 1612 i. R. K. Verf. A. 13 spricht von der „jüngst fürübergangenen reichshoffcantzley reformation“. 115) Kretschmayr, Reichsvizekanzleramt 426 f. weist auf solche Eingriffe und auf mangelndes Entgegenkommen gegen Ulm seitens der Hofkammer (427, Anm. 2) hin. Was die von Kretschmayr angeführte Tatsache betrifft, daß außer Ulm auch Fh. v. Herberstein, der Hofmarschall Sigmund Graf Losenstein und der geheime Rat Leonhard Graf 36