Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 2. Die Reichskanzlei unter Rudolf II. und Mathias
kanzlers die Ernennung unter Zustimmung des Erzkanzlers vollzog, aber Daniel von Mainz war sichtlich mit diesem Verfahren ganz einverstanden. Vieheuser versah das Amt des Vizekanzlers genau durch zehn Jahre. Für die Ordnung in der Kanzlei war seine Leitung nicht eben günstig. Unter ihm litt die Organisation der Kanzlei dadurch, daß der Sekretär Obernburger nicht nur die Agenden der deutschen Expedition versah, sondern auch die noch zu Lebzeiten Maximilians II. an sich gezogenen der lateinischen und später auch die kaiserliche Korrespondenz im engeren Sinne besorgte, so daß damals die Teilung der Kanzlei in die zwei Abteilungen der deutschen und lateinischen Expedition praktisch eigentlich aufgehoben war und Erstenberger nach Obernburgers Tod mit Recht sagen konnte, daß dieser mehrere Expeditionen versehen habe, wodurch mancherlei Unordnung entstanden sei 49). Vieheuser 50) hat aber nicht nur durch Gewährenlassen der Kanzlei geschadet, sondern auch durch sein persönliches geradezu despotisches Wesen recht unerquickliche Verhältnisse geschaffen. Erstenberger hat nach dem am 23. April 1587 erfolgten Tod des Vizekanzlers dem Erzkanzler in einem ausführlichen Schreiben das Regiment Vieheusers in recht ungünstigen Farben geschildert51). Der Vizekanzler, der gegenüber dem untergeordneten Kanzleipersonal auch vor Tätlichkeiten und Gewalttätigkeiten nicht zurückscheute, erniedrigte die Kanzleischreiber zu untergeordneten persönlichen Diensten, indem er sie als Aufwärter und Lakaien verwendete, ja sogar wie die Stallknechte neben den Rossen herlaufen ließ, so daß oft keine Person in der Kanzlei gefunden werden konnte. Die Verwendung des Kanzleidieners zu Hausknechtsdiensten verursachte öftere Verzögerung in der Zustellung der Schriftstücke zur Unterzeichnung. Besonders übel wirkte sich die Vertrauensstellung des Amanuensis des Vizekanzlers aus, der die Amtsgeheimnisse nicht wahrte und sein Wissen um wichtige Schriftstücke zum eigenen Vorteil mißbrauchte. Aber auch Vieheuser selbst scheint, was das Taxamt betrifft, nicht einwandfrei vorgegangen zu sein. Zumindest hat er die Aufwen- wendüngen für seine Wohnung ganz ungesetzlicherweise aus den Tax- gefällen bestritten; durch diese Korruption war das Taxamt sehr heruntergekommen. Es entsprach nur Vieheusers gewalttätiger Natur, daß er bei der Aufnahme und Entlassung des Kanzleipersonals ganz eigenmächtig vorging und sidi um die Rechte des Erzkanzlers nicht bekümmerte. Aber auch so manche schlecht qualifizierte Arbeitskraft soll er angestellt haben. Erstenberger, der in seinem Berichte ganz als Vertrauensmann des Erzkanzlers erscheint und uns hier als überzeugter und entschiedener Verfechter der Mainzer Rechte entgegentritt, beschwört den Kurfürsten geradezu, die Gelegenheit des Vizekanzlerwechsels zu benützen, um die geschilderten Mißstände abzustellen und den künftigen Nachfolger Vieheusers schon vor Übernahme des Amtes zur Einhaltung der Kanzleiordnung anzuhalten. In höchst freimütigem Tone fordert Erstenberger den Erzkanzler in dem recht formlosen Schreiben zu energischer Haltung auf. Es ist überaus bezeichnend für die ganze damalige Situation und besonders für die Stellung des Erzkanzlers, wenn wir Erstenberger ihm 4Ö) Vgl. darüber unten S. 367. 50) Vgl. über ihn unten S. 316 f. 51) Brief v. 2j. April 1587 i. Mzer. R. K. u. Taxamt 3. 23