Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

VI. Biographische Daten und Betätigung der einzelnen Beamten - 1. Die Reichsvizekanzler

am kaiserlichen Hofe herrschten, sehr begründet war. Coraduz war ein gelehrter Mann, der sich viel mit historischen und sprachlichen Studien beschäftigte und eine wertvolle Bibliothek besaß, die für die kaiserliche Hofbibliothek angekauft, später aber von Ferdinand II. den Jesuiten geschenkt wurde 161). Kretschmayr hat bereits auf mehrere Hand­schriften der Wiener Nationalbibliothek hingewiesen, die Coraduz zuge­schrieben werden, und erwähnt, daß er als fruchtbarer Schriftsteller galt162). Die Handschriften sind, wie der Schriftvergleich lehrt, tatsächlich zum größten Teil von ihm selbst geschrieben. Mit seinen gelehrten Interessen dürfte es wahrscheinlich auch Zusammenhängen, daß Coraduz bei seinem Abgänge eine Menge von Akten der Reichskanzlei und ein Reichslehen­buch mit nach Krain nahm. 1618 erging ein kaiserlicher Auftrag, dieses Material aus der Verlassenschaft oder von den Erben des Coraduz, der demnach damals schon tot war, zustande zu bringen 163). Über das Ergebnis dieser Aktion ließ sich nichts feststellen. Coraduzens Nachfolger wurde Leopold Freiherr von S t r a 1 e n- dorff , der am 24. November 1606 zum Administrator der Reichskanzlei bestellt wurde 164 * *). Wir hörten, daß er schon 1603 an jenes Stelle hätte treten sollen, damals aber sich Coraduz schließlich wieder behauptete. Stralendorff gehörte jedoch seit dem Juni 1603 dem geheimen Rate an 16B). Er hatte, als er in kaiserliche Dienste trat, bereits mehr als 30 Jahre den Mainzer Kurfürsten gedient und wollte zunächst wegen seines hohen Alters die Vizekanzlerschaft auch nicht übernehmen, ließ sich aber nach Zusage einer „Adjunction“ dazu bewegen. Wir besitzen über ihn eine biographische Skizze aus der Feder Felix S t i e v e s, auf die hier verwiesen werden darf168). Neuerlich hat auch A. O. Meyer in der Einleitung zu den von ihm herausgegebenen Nuntiaturberichten einen wertvollen Beitrag zu seiner Charakteristik geliefert167). In den ersten Jahren seiner Tätigkeit am Prager Hofe nahm Stralendorff keine hervorragende Stellung ein. Er wurde zwar im August 1604 zu einer Mission an die Kurfürsten von Sachsen und von Mainz herangezogen 188), hat aber keinen näheren Kontakt mit dem Kaiser gehabt. Noch im Februar 1606 berichtete der Nuntius Ferreri, daß er sich bemühe, Stralendorff durch den Kammer­diener Lang Zutritt zum Kaiser zu verschaffen 169). Da Stralendorff gut katholisch gesinnt war, erfreute er sich der Gunst des Nuntius. Dieser war es auch, der dann im April 1606 die Entsendung Stralendorffs zu Verhandlungen mit Mathias über die ungarischen Religionsartikel be­161) Vgl. Mosel, Geschichte d. k. k. Hofbibliothek 63. Besondere Kenntnisse wurden Coraduz im Hebräischen nachgerühmt. 162) Arch. f. öst. Gesch. 84, 423, Anm. 4. — Es sind die Handschriften 9138, 9347, 9548/5, 9549, 9676, 10546. 163) R. H. R. Alte Prager Akt. 31. 161) R. K. Verf. Akt. 2. 166) Vgl. Stieve, Briefe u. Akt. 5, 60 u. 818, Anm. 2. 168) Alig. deutsche Biogr. 36, 493 ff., wo auch die ältere Literatur angeführt ist. Stieve gibt irrig das Jahr 1605 statt 1606 als Ernennungsjahr Stralendorffs an, ebenso A. O. Meyer. 167) S. LXXII f. 168) Stieve 5, 716 ff. 169) A. O. M e y e r a. a. O. 660. 326

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