Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 1. Die Neuorganisation der Reidiskanzlei im Jahre 1559 und ihre Entwicklung bis zum Tode Maximilians II

auch der kanzleitechnische Fortschritt gegenüber ihren Vorgängern ver­folgen. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß sich fast nirgends stilistische Übereinstimmungen mit der Fiofkanzleiordnung Ferdinands I. vom 6. März 1526 oder mit seiner Instruktion für den obersten Kanzler vom 12. Februar 1528 feststellen ließen21). Wenn auch das Fehlen der ursprünglichen Ent­würfe beider Parteien ein abschließendes Urteil nicht gestattet, wird man doch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, daß die Kanzlei­ordnung von 1559 in der uns vorliegenden Fassung im wesentlichen die Arbeit der Mainzer Kanzlei ist. So eingehend und erschöpfend nun auch die neue Ordnung in den meisten Punkten abgefaßt wurde, besonders in allen auf den Geschäftsgang bezüglichen Bestimmungen, so blieb doch noch vieles ungeregelt, anderes wieder zu wenig präzise formuliert, als daß nicht reichlicher Stoff zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten, besonders zwischen dem Kaiser und dem Erzkanzler, vorhanden gewesen wäre. Über die innere Or­ganisation der Kanzlei und deren Geschäftseinteilung sagt die Kanzleiordnung so gut wie nichts, wiewohl bei dem Umfang der Ge­schäfte, die nunmehr der Reichskanzlei zufielen, einschlägige Vorkehrungen dringend geboten gewesen wären. Wir hören nicht einmal von der Teilung der Kanzlei in eine deutsche und lateinische Abteilung oder Expedition, wie sie stets genannt wurde 21 a). Daß diese Teilung, die althergebracht war und auch in der Hofkanzlei Ferdinands I., wie die Hof­staatsverzeichnisse zeigen, bestand, auch 1559 für die Reichskanzlei über­nommen wurde, geht zur Genüge aus der während der Verhandlungen zu Augsburg von kaiserlicher Seite überreichten Liste des Kanzleipersonals hervor, in der eine eigene lateinische Kanzlei — so wurde unter Ferdinand I. die lateinische Expedition meist genannt — mit zwei Sekretären, einem Registrator und einer Anzahl von Kanzleischreibern erscheint 22). Für die Zuweisung der Geschäftsstücke an die beiden Abteilungen waren ursprüng­lich territoriale Gesichtspunkte maßgebend, was innerhalb der zehn Reichs kreise fiel, gehörte zur deutschen, was außerhalb der­selben lag, besonders Italien, zur lateinischen Expedition, und zwar ohne 21) Fellner-Kretschmayr I/2, 91 ff. u. 238 ff. 21 a) Das Wort Expedition wird in der Kanzleiordnung von 1559 und auch weiterhin in der Kanzleispradie des 16. bis 18. Jhts. in dreifachem Sinn gebraucht. Es bedeutet erstens soviel wie Kanzleiabteilung oder Departement, aber auch das Referat eines bestimmten Beamten. Daher wird sowohl von deutscher und lateinischer Expedition, aber auch von der Expedition eines bestimmten Sekretärs gesprochen. Andererseits spricht die Kanzleiordnung davon, daß die Sachen und Geschäfte, die sich in der Reichskanzlei häufen, ihre „fürderliche und richtige expedition“ erfahren sollen (Fellner-Kretschmayr I/2, 290) und versteht also darunter die gesamte Tätigkeit, die zur Bearbeitung und Erledigung eines Aktenstückes erforderlich ist. Dementsprechend gebraucht sie auch das Verbum expe­dieren. Schließlich bezeichnet sie aber auch das Endergebnis dieser Tätigkeit, die fertigen, zur Besiegelung oder zur Auslieferung oder Absendung an die Adressaten bestimmten Reinschriften (Munda) als Expeditionen. So bestimmt sie, daß der Taxator die „briefe und expeditionen“ dem Erzkanzler oder dessen Vertreter zum Siegeln bringen soll (Fellner- Kretschmayr I/2, 298, Art. 19) oder spricht von den „expeditionen“, die den Parteien zugestellt werden (ebda. 299, Art. 26). Im letzteren Sinne ist das Wort auch heute noch in der Kanzleisprache gebräuchlich und wird auch in den folgenden Ausführungen ver­wendet werden. 22) Mzer. R. T. A. 47. 14

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