Historische Blätter 7. (1937)
Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur
standen sind. Dann aber gewinnt die Periode Karls d. Gr. und des auf ihn folgenden Jahrhunderts unerhörte Bedeutung. Denn in ihr wurzelt das meiste. Daß auch, und zwar ganz besonders, der Epoche nach Karl große Bedeutung zukommt, mindert seine Größe ebensowenig wie daß er in vielem nur das Werk seiner Vorfahren, besonders seines Vaters Pippin, fortgeführt hat. Denn Zusammenfassung und Vollendung lange reifender und Vorbereitung, Grundlegung kommender Entwicklungen ist das Merkmal großer Persönlichkeiten. Die Verflechtung von Germanentum, Christentum und Antike, die Karl zum Inhalt seines Kulturprogramms machte, ist der bestimmende Inhalt der Kultur bis heute geblieben. Karl d. Gr. hat die Grundlinien für die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters gezogen. Die Grafschaftsverfassung löste sich im wesentlichen erst im 13. Jahrhundert auf. Der großartige Gesetzesbestand, den Karl geschaffen hatte, blieb, in den folgenden Jahrhunderten fast um nichts vermehrt, in Geltung, bis er durch das seit dem 11. Jahrhundert langsam entstehende neue Recht (Landfriedensgesetzgebung, Stadtrecht, kanonisches Recht) abgelöst wurde; er bildete neben den heiligen Schriften und den Septem artes bezeichnenderweise auch den Hauptunterrichtsgegenstand für die Söhne des Adels67. Karls Schulreform, die, von seiner Hofschule ausgehend, einen allgemeinen Volksunterricht an allen Stifts-, Kloster- und sogar Pfarrschulen zum Ziele hatte, wirkte segensreich auf die Bildung und literarische Produktion der folgenden Generationen. In der karolingischen Kirchenarchitektur erkennen wir heute alle wesentlichen romanischen, ja zum Teil sogar gotischen Baugedanken: Die Klosterkirchen von St. Gallen, Hersfeld und Werden zeigen bereits das bekannte gebundene System, Werden überdies den besprochenen Stützenwechsel; die Kirche von St. Riquier an der Somme, deren Abt Angilbert war, einer von Karls Akademikern, der Geliebte von Karls Tochter Berta, erscheint mit den zwei Querhäusern und den charakteristischen Vierungs- und Treppentürmen als ein Vorläufer der Michaelskirche in Hildesheim. In der starken Überhöhung des Mittelschiffes und in den Turmbauten der karolingischen Kirchen kann man bereits den Höhendrang des gotischen Formwillens sehen. In der Dichtung führt von der erwähnten Selbstanklage des Sünders der Weg zu den freien Rhythmen Goethes. In volkstümlichen Versmaßen schildern Gedichte von Mitkämpfern aus eigenstem Erleben heraus die Siege über die Avarén und über die Langobarden. Aber auch die manchmal etwas glatte Ilofpoesie aus Karls Dichterkreis schöpft oft 67 Das ergibt sich aus der bekannten Klage des Grafen Udalrich von Ebersperg über den Rückgang der Bildung im Chron. Ebersperg. MG SS. XX 14. 3 31