Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

Die Konvention vom 15. Januar enthielt in ihrem neunten Artikel die Übereinkunft, daß die Folgen des Krieges und territorielle Verände­rungen, die aus einer eventuellen Auflösung des Osmanischen Reiches hervorgingen, mittels einer besonderen gleichzeitigen Abmachung („une Convention spéciale et simultanée“) im voraus bestimmt werden sollten. Es galt, in zweckmäßiger Form die Abmachung zu erneuern, die für einen solchen Fall schon einmal bei der Reichstädter Zusammenkunft ein halbes Jahr früher getroffen war. Der Entwurf eines Zusatzvertrages wurde auch schon in der zweiten Hälfte des Januars (den 7./19.) von Wien nach Petersburg geschickt, dann trat aber ein längerer Aufschub ein, der Graf Andrässy wie ein beunruhigendes Symptom vorkam. Auch für die deutsche Regierung war die Sache von einem gewissen Gewicht, denn erst mit der Unterzeichnung der Nebenkonvention trat auch die Hauptkonvention in Kraft; erst so war die gewünschte Sicherheit gegen ein Abreißen der freundlichen Beziehungen zwischen den beiden Bundes­genossen völlig gewährleistet 83. Endlich nach monatelanger Wartezeit kam die russische Antwort, vom 26. Januar a. St. datiert (7. Februar n. St.); sie wurde aber nicht in allem befriedigend befunden. Graf Andrässy hatte während der Verhandlungen des Herbstes kräftig geltend gemacht, daß der Plan zur Aufteilung der europäischen Türkei, worüber man sich in Reichstadt geeinigt hatte, nur für den Fall Gültigkeit habe, daß dieses Reich infolge eines unheilvollen Ausgangs des Kampfes mit Serbien und Montenegro in einen Auflösungszustand gerate. Gorcakow konnte seinem Vorschlag daher scheinbar das Aussehen geben, den eigenen Gedankengang seines österreichisch-ungarischen Kollegen nur getreuer ausdrücken zu wollen, als er verlangte, die neue Abmachung solle gleichfalls ausschließlich der möglichen Auflösung des Osma­nischen Reiches gelten, nicht aber, wie der österreichische Antrag be­sagte, überhaupt den Anordnungen nach dem mit einer gewissen Wahr­scheinlichkeit bevorstehenden Kriege. Die wahre Bedeutung der von russischer Seite gewünschten Streichung der Worte „la guerre“ war also die, daß Österreichs Recht, Bosnien und Herzegowina zu annektieren, in dem Falle hinfällig werden sollte, wenn der Waffengang nicht zu 83 Wertheimer, Graf Julius Andrässy, II S. 390 ff., Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrässy, S. 456ff. Die kurze Zusammen­fassung', die im Texte gegeben wird, bezweckt, den zeitlichen und sachlichen Zu­sammenhang in gewissen Punkten mit größerer Klarheit hervortreten zu lassen. — Stolberg an B. v. Bülow Wien 1. und 12. Febr. 1877 (Auszug). Berlin. Das Datum der Absendung des Zusatzkonventionsvorschlages von Wien (7./19. Jan.) geht aus der Antwort GorCakows an Nowikow vom 26. Jan. (Abschrift) hervor, Berlin* 8* 115

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