Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

bewirkt worden, die Alexander II. die Vorstellung eingegeben habe, vor einer die ganze Nation beherrschenden Stimmung zu stehen, so wäre dies doch nicht möglich gewesen, wenn ihre Agitation nicht zu starken und tiefen Gefühlen gesprochen hätte, in Traditionen eingewurzelt, die auch in den unteren Schichten des Volkes einen sicheren Halt besaßen. Der Gang der Ereignisse legte es jedenfalls, sowohl damals wie auch später, an den Tag, daß man mit dergleichen Einwendungen die Macht der Partei nicht verminderte. Es gab indes immer noch eine Gegenpartei, die die Hoffnung, ihre Grundsätze und ihren Mann zum Siege zu führen, noch gar nicht aufgegeben hatte. Die Krankheit Fürst Gorcakows im Februar, als er einige Tage bettlägerig war, war vielleicht die Ursache, daß die Gerüchte von seinem Abgang wieder mit einer gewissen Stärke hervortraten, und gelang es ihm, auf dem Kongreß den türkischen Frie­den bestätigt zu bekommen, so konnte er unleugbar mit der „auréole“, die er ersehnte, sich zurückziehen 112. Als Nachfolger des Fürsten wurde in gewissen Kreisen mit großer Bestimmtheit Suwalow genannt, und man sagte jetzt in Mitte März, der Kanzler habe ihn selbst bei dem Kaiser vorgeschlagen. Man erzählte, der Graf gedenke am Ende der orientalischen Verwicklungen von der Botschaft in London zurück­zutreten, wo er seinem Lande freilich große, allgemein anerkannte Dienste geleistet, aber wohl auch — so ist die Reflexion Langenaus — viele schwere Stunden erlebt hatte. Entschiede sich der Kaiser für diese Wahl, so sei es jedenfalls ein erfreulicher Beweis dafür, daß er seine per­sönlichen Gefühle dem Besten des Reiches unterzuordnen wisse, denn daß Suwalow unter allen Kandidaten, die genannt worden waren, der tauglichste sei, das stand ja für Langenau, wie er schon mehr als einmal bezeugt hatte, außer jedem Zweifel113. Der Gesandte hatte vierzehn Tage später Gelegenheit, mit General Trepow zum erstenmal nach dem Attentat der Wera Zasulic zu sprechen, dem jener mit einer Wunde, die zwar heilte, ihn aber das Präfektenamt der Hauptstadt kostete, entkommen 112 Langenau an Andrássy 3./15. Jan. 1878: Baron Jominis Äußerungen; 1./13. März (Privatbrief): Gorcakows Rücktritt; 26. Febr. (Telegramm): Gorcakow zu Bett seit einigen Tagen; 5. März (Telegramm): „Ich habe soeben Fürst Gortschakoff zum erstenmale seit seiner Krankheit gesehen, fand ihn recht wohl und überglücklich über die von Wien angekommenen Nachrichten. Seine Durch­laucht nimmt die von Euer Excellenz vorgeschlagenen Einladungsmodalitäten [zum Congreß] mit Freude an und läßt Hochdenselben sagen, wie stolz er sei, in seinem Vertrauen zu Euer Excellenz nie gewankt zu haben.“ Wien. 113 Langenau an Andrássy 1./13. März 1878 (Privatbrief). Wien. 134

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