Historische Blaetter 3. (1921-1922)
Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung
Gerade in diesen Jahren tiefsten Sturzes und sehnsüchtigen Aus- schauens nach der Wiedererhebung erscheint es mir als wissenschaftliche Pflicht, jene entscheidungsschweren Probleme, die sich seit der Frankfurter Nationalversammlung an die politischen Begriffe großdeutsch und kleindeutsch knüpfen, von ihrem' Werden aus zu beleuchten. Es wird sich, so hoffe ich, daraus zunächst ein bescheidener verfassungsgeschichtlicher Gewinn ergeben: Es ist oft betont worden, daß das kleindeutsche dem großdeutschen Programm an Klarheit und logischer Folgerichtigkeit überlegen war, soweit nicht der Radikalismus der äußersten Linken in Betracht kommt, und daß die Mehrheit der Großdeutschen zu einer politisch möglichen Form des deutschen Nationalstaates nicht gelangte; niemals aber ist ganzi schärf gezeigt worden, wie denn nach den Plänen der G'roßdeutschen Österreichs die verfassungsrechtliche Stellung der deutschen Bundesländer Österreichs im neuen Gesamtkörper und gegenüber dem öster- reichischjen Staatsganzen hätte gestaltet werden sollen. Gewinnen wir von dieser Seite aus Klarheit, ob das großdeutsche Ideal mit der Realität eines deutschen lebensfähigen Nationalstaates vereinbar war, dann haben wir den Weg zur Bewertung der kleindeutschen Reichsgründung geöffnet und haben vielleicht neben dem wissenschaftlichen auch einen politischen Lebenswert gewonnen. * Als am 18. März 1848 Abgeordnete aller Stämme, vom Jubel des Volkes geleitet, von schwarz-rot-goldenen Fahnen und Glockengeläute begrüßt, feierlich vom Kaisersaale des Römers zur Paulskirche zogen, da beseelte die große Mehrheit ein Gedanke: das Verlangen nach einem deutschen Staat. Das souveräne Volk sollte sich die Einheit und Freiheit, den Staat und die Verfassung schaffen, es sollte dem deutschen Namen in der Welt zu Ehre und Macht verhelfen, und sein Souveränitätsgebiet sollte reichen, soweit die deutsche Zunge klingt; das ganze Deutschland sollte, wie der alte Arndt gesungen, des Deutschen Vaterland sein. Der deutsche Bund, in dem die Souveränität der Telle nur eine vertragsmäßige Beschränkung erfahren hatte, sollte von der sich selbst bestimmenden Nation zumi fester geschlossenen Gebilde, zum Bundesstaate, vielleicht zum Ejn- heitsstaä/te gewandelt werden, ein Reichsvolk sollte aus den Staatenvölkern entstehen, allgemeine Grundgesetze dem Deutschen in allen: Gliedstaaten gleiche Freiheit sichern und der alte, von Metternich mühsam überbrückte Dualismus der beiden Großmächte Österreich und Preußen sollte nie ’mehr aufleben können. Die Idee galt als 355