Historische Blaetter 3. (1921-1922)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

Erwerbung einverstanden seien, die Österreich-Ungarn im Einver­nehmen mit Rußland im Orient vornehmen würde. Bismarck fügte dem noch hinzu, er würde der Monarchie alles gönnen, was sie nur wünsche. Deutschland hätte alles erreicht, was es anstreben könne und nehme bloß nur noch auf seine innere Konsolidierung Bedacht. Für die deutschen Interessen wäre es förderlich, wenn die Entwicklung der Verhältnisse auch in andern Staaten, besonders in Österreich- Ungarn und Rußland, ein ähnliches Gefühl der Befriedigung wie in Deutschland erregen würde. Von Frankreich sei das allerdings nicht zu erhoffen. Bismarck meinte dann weiter, wie es im Interesse der Monarchie gelegen wäre, daß der wesentliche Teil der Konvention jetzt zur Verwirklichung gelange, d. h. daß es zum Kriege zwischen Rußland und der Türkei komme. Sollte aber das russische Reich sich entschließen müssen, den Rückzug anzutreten, so würde da­durch das daselbst aufgehäufte Gift ohne Ableitung bleiben und, abgesehen von inneren Stimmungen, für die künftigen Beziehungen Rußlands zu Österreich-Ungarn gefährlich werden1. Bismarck war daher der Ansicht, daß der Wiener Hof nichts tun sollte, um dem Petersburger eine diplomatische Niederlage zu bereiten. Unfehlbar wäre die nächste Folge davon der Sturz Gortschakows und dessen Ersetzung durch Ignatiew. Wie der Reichskanzler, so zeigte sich auch Kaiser Wilhelm I. von der Militärkonvention sehr befriedigt, die in ihm das beruhigende Gefühl erzeugte, daß nunmehr keine Kollision zwischen Österreich-Ungarn und Rußland zu befürchten sei2. Im Monat März 1877 übersandte dann Andrássy für Bismarck alle auf die „convention additionnelle“ bezüglichen Papiere. Nach allem, was vorangegangen, muß es doch1 überraschen, daß der öster­reichisch-ungarische Minister des Äußern sich jetzt, da er diese Dokumente nach Berlin gelangen ließ, mit dem Reichskanzler in dem Wunsche begegnete, Kaiser Alexander möge das Schwert ziehen. „Fügen Sie hinzu“ — schrieb er an Graf Károlyi — „daß dieses Aktenmaterial nach meiner Überzeugung vorerst leider wohl nur akademischen Wert beanspruchen kann. Rußland1 scheint an ein aktives Einschreiten im Orient jetzt nicht zu denken und für uns wäre es jedenfalls sehr schwer, eine Initiative in dieser Richtung zu ergreifen“ 3. Erst im Mai 1877 erhielt Bismarck auf dessen wieder­1 Károlyi an Andrássy, Berlin, 5. Jänner 1877. W. St. A. Andrássys eigenhändige Marginalbemerkung hiezu: „Der Wunsch ist aufrichtig, die Motivierung läßt zu wünschen übrig.“ 1 Ibidem. 3 Andrássy an Károlyi, Wien, 7. März 1877. Sehr geheim. W. St. A. 161

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