Historische Blaetter 3. (1921-1922)
Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)
gestaltet wurde und dem Andrássy „trotz mehrfacher Bedenken“, wie er sagt, in den meisten Details zustimmte. Der Minister gab eine Zusammenstellung seiner Einwürfe über die strittigen Punkte in einem deutsch geschriebenen Aide-Mémoire, das er die Absicht hatte, dem russischen Gesandten zu überreichen. Er stand jedoch davon ab und las diesem nur einige Bruchstücke daraus vor, „weil es im ganzten mehr Wahrheit enthält, als russische Staatsmänner begreifen oder ertragen können“ L Gortschakow bestand darauf, daß Rußland der militärischen Mitwirkung Serbiens und Montenegros als Operationsbasis gegen die Türkei nicht entbehren könne, wogegen sich Andrássy aufs entschiedenste aussprach. Nun verfaßte Nowikow, es war nicht klar, ob auf eigene Faust oder infolge einer Ermächtigung seines Chefs, einen vermittelnden Entwurf. In dessen Sinne verpflichtete sich Rußland, seine Truppen weder nach Serbien, noch nach Montenegro operieren zu lassen, dagegen hätte Österreich-Ungarn zu erklären, daß es, falls die türkischen Truppen sich in eines der beiden Länder werfen sollten, auch dem russischen Heere gestattet werde, dem Feinde dorthin zu folgen. Von einer solchen Vertragsbestimmung wollte man am Hoflager zu Budapest nichts wissen. Der entscheidende Gesichtspunkt für die Verwerfung lag in der Erkenntnis, daß das russische Verlangen nicht militärischen, sondern politischen Absichten entspringe, und zwar solchen Absichten, die zu den Lebensinteressen der Monarchie in Widerspruch standen. Auf österreichisch-ungarischer Seite sagte man sich: militärisch sei es ja ganz undenkbar, daß beträchtliche türkische Streitkräfte ihren durch Rumänien marschierenden Gegner in Serbien erwarteten, weil sie in diesem Falle durch das Vordringen der russischen Armee gegen Konstantinopel von dieser Stadt abgeschnitten würden. Ebensowenig hielt man es für denkbar, daß die Russen aus militärischen Gründen ihre Operationen nicht direkt gegen Bulgarien richten, sondern in exzentrischem Marsche gegen Serbien streben, wodurch dem Feinde Gelegenheit geboten werde, das russische Heer durch einen Vorstoß in die Flanke von seiner Basis zu trennen. „Es kann sich also“ — schreibt Andrássy über Gortschakows Forderung an Freiherrn v. Langenau — „bei einer Besetzung von Serbien für Rußland nur um den politischen Zweck handeln, sich an die Spitze der slawischen Bewohner der Türkei zu stellen. Selbst bei dem entschiedensten Willen, sich auf die militärische Organisierung des Landes zu beschränken, wäre Rußland, das 1 Liegt in Abschrift der geh. Depesche Andrássys vom 26. Dezember 1876 bei. W. St. A.