Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876—1877)_ _ von Eduard v. Wertheimer Den geheimen Verabredungen im Schlosse von Reichstadt (Böhmen), 8. Juli 1876, sowie den geheimen Budapester Konventionen vom 15. Fe­bruar 1877 eignet welthistorischer Charakter. Sie bezeichnen ein1- schneidende Wendepunkte in der orientalischen Politik. Auf Grund­lage neuer, mir früher bei der Darstellung des Lebens des Grafen Julius Andrássy unzugänglich gewesener Akten des Wiener Staats­archivs soll hier neuerdings die Geheimgeschichte dieser Verträge, die in der Orientpolitik Andrássys eine so hervorragende Rolle spielen, geschildert werden. Zu ihrem Verständnis erscheint es unerläßlich, auf vorangegangene Begebenheiten zurückzugreifen, ohne deren Kennt­nis die Abmachungen von Reichstadt und Budapest unklar bleiben müßten. * * * Kaiser Nikolaus I. von Rußland, der auf Dank von Österreich für seine im Jahre 1849 gegen Ungarn geleistete Hilfe gerechnet hatte, empfand tiefen Groll darüber, daß’ ihn der Wiener Hof zur Zeit des! Krimkrieges im Stiche gelassen. Des Zaren unauslöschlichen Haß gegen Österreich erbte sein Sohn Alexander II. In Gegenwart des diplomatischen Korps schleuderte dieser dem Petersburger Gesandten, Grafen Valentin Esterházy, die Worte von der Undankbarkeit Öster­reichs entgegen. Unverändert wirkte, wie eine sprengende Kraft, „das mächtige Element des Hasses“ in Rußland gegen Österreich1. Unge- scheut konnte man sich die hämischesten Ausfälle gegen die Monarchie gestatten. Ein General sagte, was im damaligen Rußland eine Kühnheit bedeutete, ganz laut in einer Gesellschaft: er würde den Dienst so­gleich verlassen, wenn Rußland sich je wieder mit Österreich verbin­den sollte2. Als Kaiser Franz Josef I. im Jahre 1859 an Alexander II., um sich dessen Unterstützung im Kampfe gegen Sardinien und Na­poleon III. zu sichern, ein in freundschaftlicher Intimität gehaltenes 1 Raschdau: „Die politischen Berichte Bismarcks“, 1. Band, 36. a Bericht des Advokaten Dr. Drovun an Graf- Rechberg über seinen Besuch bei verschiedenen russischen Staatsmännern. Mai 1860. Rechberg legte den Bericht dem Kaiser vor. 1860. Wiener Staatsarchiv.

Next

/
Thumbnails
Contents