Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

Der Kanzler, der noch während des Diners ein politisches Gespräch begann, sagte, es scheine ihm nicht bedenklich für Österreich-Ungarn, auf die Vorschläge Alexanders einzugehen. Erst nach Kenntnisnahme der zwischen dem Zar und Franz Josef gewechselten Briefe erklärte er, daß das gleichzeitige, aber nicht kombinierte Einrücken der öster­reichisch-ungarischen Truppen in die Türkei im gegebenen Falle eine günstige Stellung für die Monarchie schaffen würde. Die Besetzung Bulgariens durch die Russen schien dem deutschen Staatsmanne ohne große Bedeutung für die Zukunft1, da er sie nur als vorübergehend betrachte und Kaiser Alexander fern von allen Eroberungsplänen in der Türkei sei. Doch mußte er das von Andrässy dem Baron Münch an die Hand gegebene Argument gegen diese Okkupation anerkennen: daß die Russen, wenn sie einmal in Bulgarien einmarschiert wären, sich nicht so leicht wieder von dort entfernen würden. Es leuchtete ihm daher ein, daß Andrässy schon jetzt die Frage ins Auge fasse, ob er eine dauernde Niederlassung der Russen in Bulgarien zulassen könne oder nicht. Von diesem Augenblicke an beschäftigten die Ge­danken Bismarcks die Folgen einer russischen Okkupation für die Donaufürstentümer und den europäischen Handel an der unteren Donau, auf die Baron Münch den Kanzler im Aufträge Andrässys aufmerksam gemacht hatte. Nachdem Bismarck alle Gründe für und gegen in seinem Kopfe erwogen hatte, meinte er, die Russen könnten nicht ernstlich die Annexion Bulgariens anstreben. Sie würden sich ja, sagte er, durch eine zu große Ausdehnung ihrer Grenzen schwächen. In diesem Sinne, meinte er dann, daß Rußlands eigentliche propa­gandistische Stärke in dem den nördlichen Teil Rußlands bewohnenden Volke ruhe, bei dem der Glaube und die nationalen Ideen mächtig wirken, während diese treibenden Kräfte bei den Kleinrussen und Kosaken vollständig mangeln. Diese vermöchten daher auch keine Anziehungskraft auf die slawischen Stämme auszuüben. In seinen weiteren Erwägungen bezeichnete Bismarck als wirksamstes Mittel gegen die Gefahr einer bleibenden Festsetzung der Russen in Bulgarien die feindliche Stellung, in die hiedurch England gedrängt würde2. Nie könnte das britische Reich einen solchen Zustand zugeben, und wiederholt betonte der Kanzler, Österreich-Ungarn sei in der gün­stigen Lage, die es nicht unbenützt lassen sollte, sich in dieser; Hin­sicht auf einer Linie mit England zu bewegen. Die Monarchie hätte alles zu vermeiden, sich ohne Notwendigkeit in den natürlichen 1 Andrässy hiezu in margine: zwei Ausrufungszeichen.

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