Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

aus seinem Zusammenhang, aus der Zeit, aus den zeitweiligen Ver­hältnissen, aus dem Volksgeist, aus der Gruppe zu erklären. Damit nahmen sie die Ziele und die Arbeit der „Soziologie“ voraus. Wenn die Soziologie die Lehre von den Gemeinschaftsbeziehungen ist, so haben die Romantiker eine solche Lehre schon vorgetragen. Wenn (nach Max Weber1) die Soziologie die Wissenschaft ist, die soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will, so vertritt die Romantik eine solche Wissenschaft2. Die soziologische Arbeit der Romantiker wurde wesentlich dm Rahmen der Fachdisziplinen getan, und in den von der Romantik begründeten oder beeinflußten Fachdisziplinen ist sie bis zur Gegenwart weitergegangen. Im großen und ganzen darf man sagen, daß die Arbeiten der Fach Vertreter nicht bloß durch die solide Feststellung der Einzeltatsachen, sondern auch in den allgemeinen Anschauungen den Arbeiten derjenigen überlegen sind, die mit der !Firma des Philosophen oder „Soziologen“ sich brüsten. Um hier nicht von den Rechtshistorikern, Sprachforschern, zünftigen Historikern, Theologen zu sprechen, so denke man etwa an die Geographen und Ethno­graphen, an Ratzel oder den Amsterdamer Geographen und Ethno­graphen Steinmetz oder den Freiburger Ethnographen Grosse. Alle drei verfügen über allgemeine Anschauungen, die fester und tiefer unter­baut sind als das „soziologische“ System von Comte, Schäffle, Gum- plowicz, Ratzenhofer, Oppenheimer und wie die Reihe weiter bergab geht3; fester, weil tiefer. Auch die Fehler und Fehlgriffe der modernen „Soziologen“ sind in der romantischen Literatur schon vorausgenommen. freilich so, daß o J ' 1 M. Weber, Grundriß der Sozialökonomik, III, 1: Die Wirtschaft und die gesell­schaftlichen Ordnungen und Mächte (1921). 2 Tröltsch, Die Dynamik der Geschichte nach der Geschichtsphilosophie des Positivismus (1919), S. 9, bemerkt: die neue „soziologische“ Methode „ist zunächst gegenüber Hegel und vollends gegenüber Marx nichts Neues“. Abgesehen davon, daß man Marx doch nicht als älter als die soziologische Methode hinstellen kann, überrascht dieser Ausspruch dadurch, daß Tröltsch hier (und auf den folgenden Seiten) wiederum die Romantik ganz übersieht. Wenn für die Soziologie „stets die Gemeinschaft und ihre Entwicklung im Mittelpunkt steht“ (Tröltsch, S. 24), so läßt sich doch eine Übereinstimmung zwischen ihr und der Romantik schlechter­dings nicht übersehen. Man zweifelt, ob bei Tröltsch mehr Flüchtigkeit oder mehr Tendenz vorliegt. Offenbar handelt es sich um beides in der Art, daß das eine das andere unterstützt. — Gegen die Überschätzung von Lazarus und Steinthal gegen­über der Romantik vgl. Weltw. Archiv, Bd. 16, S. 516. Krüger, Entwicklungs­psychologie, S. 53: „Was Lazarus und Steinthal an besonderen Aufgaben der Völkerpsychologie erblicken, gedieh unter ihren Händen nicht weit über das Stadium programmatischer Aufgabestellung hinaus.“ 3 Zur Kritik von Oppenheimers Soziologie vgl. E. Salin, Ztschr. f. schweize­rische Statistik und Volkswirtschaft, 1921, S. 103. 177

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