Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Es gibt meines Wissens keinen einzigen Historiker, der rein marxi­stisch, d. h. nach dem Rezept der marxistischen Geschichtsauffassung genau verfährt, aus dem einfachen Grunde, weil Marx in der schillern­den Art seiner Theorie nicht faßbar ist, nicht offen sagt, was er will, als Agitator ja auch keine methodische Anweisung für Geschichts­darstellungen zu geben braucht1. Es gibt dann eine beträchtliche Zahl von Schriftstellern — wie z. B. Kautsky —, die Marx’ Auffassung grob ökonomisch-materialistisch deuten und nach diesem plumpen Rezepte Geschichte schreiben, deren Produkte aber nicht ernst ge­nommen werden können. Es gibt ferner Historiker, die sich, meistens in Anlehnung an Marx, eine ausgeprägte kollektivistische Auffassung, mit entschiedener Betonung der wirtschaftlichen Ursachen, angeeignet haben und von hier aus Geschichte schreiben. Unter diesen finden sich einige respektable Forscher. Bei einigen von diesen findet man die Marxsche Klassenkampftheorie in 'überraschend grob­körniger Weise, in einer Art, die sich sehr sichtbar vom quellen­mäßigen Nachweis entfernt, vorgetragen2. Immer aber bedeutet die Nähe an Marx wesentlich kollektivistische Auffassung s. Tröltsch kon­struiert sich eine Gruppe von marxistisch beeinflußten Historikern, die alle Schlacken des alten Marxismus abgeworfen haben (S. 440), die jene schönen Eigenschaften des „philosophischen und allgemeinen Geistes“ usw. besitzen, aber dabei sich im wesentlichen zur Unterbau- Überbaulehre Marxens bekennen und die Abhängigkeit des ideo­logischen Überbaues vom ökonomischen Unterbau als „weitaus die Regel“ ansehen (S. 429, 431, 440f.). Eine solche „Gruppe“ gibt es natürlich nicht; Tröltsch wirft hier Forscher zusammen, die mitein­ander nichts zu tun haben. Er übersieht ferner, daß der Kollektivis­mus, mag er mehr marxistischer oder allgemein-positivistischer Natur sein, doch der Hauptsache nach das Feldgeschrei ist, nach dem sich' die Geister scheiden. Er übersieht ebenso, daß die Stellung, die Marx zum Staat einnimmt, alle Historiker von ihm fernhalten muß, welche sich in ihren Forschungen von der beherrschenden Stellung des Staates im geschichtlichen Leben überzeugt haben, daß die marxistische.' Ge­sellschaftslehre dem Staatsgedanken seinen Wert und seine Würde nimmt, den Staat, die Wirklichkeit der sittlichen Idee, zum Instrument 1 Ähnlich Roffenstein in der weiterhin zu erwähnenden Abhandlung’, S. 79: ^„ein am bisherigen Geschichtsverlauf durchgeführter Beweis für die Richtigkeit der ökonomischen Theorie von Marx und Engels wurde nie versucht“. 2 Vgl. A. Rosenberg, Demokratie und Klassenkampf im Altertum (1921); dazu Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 16, S. 196 ff. 3 Vgl. auch F. Friedrich, „Vergangenheit und Gegenwart“, 1921, S. 141 ff. Vgl. oben Heft 1, S. 13.

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