Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Histor. Zíschr. 120, S. 396 f., urteilt Tröltsch: „Die wissenschaftlichen Gewinne“ — der Darlegungen von Marx und Engels — „sind in ihrer weiteren Ausbeutung durch rein wissenschaftliche Forscher immer unabhängiger geworden von sozialdemokratischer Dogmatik und parteipolitischer Praxis ... Ihre Fruchtbarkeit ist eine erstaunliche und die von ihnen geschaffene Problemstellung eine der allerlehr­reichsten, die das Jahrhundert hervorgebracht hat“. Ebenda S. 428 f.: „Für die wirkliche Historie ist die Marxistische Fragestellung, soweit sie aus Beobachtung hervorgeht und soweit sie von da aus einer lebendigen Einheit und Wechselwirkung materiell-ökonomischer und geistiger Tätigkeiten nachgeht, eine wirkliche Entdeckung, und ist die Zerbrechung jeder wesentlich oder einseitig ideologischer Kon­struktion ein Fortschritt ... Die Abhängigkeit des ideologischen Über­baus ist weitaus die Regel, und liegen hier in der Tat viele unbe­wußte oder von einseitig bildungsmäßig oder religiös oder politisch interessierten Forschern nicht oder wenig beachtete Zusammenhänge vor.“ Niemand stellt natürlich in Abrede, daß Marx und Engels / liehen Verhältnisse bei Voltaire und anderen Historikern des 18. Jahrhunderts gesprochen. Und hätte sich Tröltsch etwas weiter umgesehen, so hätte er bemerkt, daß ich in den Götting. Gel. Anzeigen, 1907, S. 895 ff. (worauf ich a. a. 0. auch verweise) mich sogar eingehend über die wirtschaftsgeschichtliche Literatur des 18. Jahrhunderts geäußert habe. Von jener „Tendenz“ bin ich also frei. Dagegen zeigt sich Tröltsch hier wieder (s. Heft 1, S. 13) von der Besorgnis gefoltert, er könnte durch das Zugeständnis, daß wirtschaftsgeschichtliche Studien vor Marx und gar durch die romantisch beeinflußten Forscher in beträchtlichem Umfang betrieben worden seien, ein Zugeständnis an die „konservative Partei“ machen. Seine Formel von den nur „einzelnen Historikern der Romantik“ zeigt ihn ganz von dieser Tendenz erfüllt, was um so schwerer ins Gewicht fällt, da er meine Darlegungen, aus denen er sich von dem andersartigen Sachverhalt bequem hätte überzeugen können, wiederholt polemisch zitiert (allerdings nicht mit Angaben einer Seitenzahl, so daß man wohl annehmen darf, daß bei ihm alles nur unsichere Reminiszenz ist). Gegen die von Tröltsch versuchte Parteizuweisung vgl. auch Westphal, S. 16, A. 6. —- In seiner Abhandlung über die historische Dynamik, Histor. Ztschr., Bd. 119, S. 388, erwähnt Tröltsch die Romantik und die historische Nationalökonomie überhaupt nicht, hier nicht einmal „einzelne Historiker der Romantik“. Er konstruiert hier einfach folgende Entwicklungsstufe: Hegel („auf der Grundlage des 18. Jahrhunderts und des deutschen Idealismus fußend“) — Marx — Naturalismus — Dilthey. Zu der Tendenz, die Entwicklung des 19. Jahr­hunderts ohne dramatischen Gegensatz aus dem 18. Jahrhunderts herzuleiten, s. m. „Parteiamtl. neue Geschichtsauffassung“, S. 10 und 21; m. „Ursachen der Reformation“, S. 12 f. An jener Stelle spricht Tröltsch ferner von der „Selbstaus­lieferung der Historie an die Naturwissenschaft und Psychologie“; erst Dilthey „rief die [!] Historie aus den Unmöglichkeiten einer solchen Psychologie wieder zu sich selbst zurück“. Wann hat dann „die“ Historie sich selbst ausgeliefert? Diese Behauptung kann Tröltsch nur aufstellen, weü er eben die romantisch beeinflußte Historie, d. h. ihren breiten, kräftigen Strom, übersieht. Dilthey knüpft ja überdies selbst bewußt an die Romantik an. Es sei hier angemerkt, daß Gooch, History and Historians (London, 1913) die Romantik viel richtiger schätzt als Tröltsch.

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