Historische Blaetter 2. (1921)
G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft
auf den Grenzgebieten der Geschichte und Jurisprudenz umsieht. Historische und juristische Bildung sind ihm mehr zu empfehlen, als die sogenannte fachmäßig „soziologische“, da ja erfolgreiche soziologische Bildung in Wahrheit nur im Rahmen der alten Disziplinen gewonnen werden kann und da die historische Betrachtung (im romantischen Sinn: Betrachtung des einzelnen im Zusammenhang mit Vergangenheit und Gegenwart, mit Himmel und Erde) die echte soziologische in sich schließt. Einstweilen wird freilich noch das muntere soziologische Geplätscher weitergehen. Die „neue Wissenschaft der Soziologie“ tritt uns bald als zoologische Huberei, bald als Gesetzhuberei, bald als Begriffsspaltunghuberei1 11 entgegen; bald wird sie uns als die Lehre vom sozialen Prozeß, bald als Theorie von der Gesellschaft, bald als Weltanschauung, bald als „neuer Humanismus“, als eine Gesinnung, die uns wieder aus dem Elend führen solle, gerühmt und mehrfach als eine Vereinigung von fast all diesem (so zum Beispiel ungefähr bei F. Oppenheimer). Man rühmt als Vorzug des Positivismus, daß er den Realismus in der Literatur eingeführt habe. Wir können diese Ansicht insofern billigen, als wir ja die Ansicht vertreten, daß der brauchbare Inhalt des Positivismus aus der Romantik stammt: er setzt deren fruchtbare Arbeit zum Teil fort und baut auch den Realismus, den sie begründet hat, an einigen Stellen mit Erfolg aus. Aber die Hauptsache ist doch eben, daß die Begründung des Realismus nicht dem Positivismus, sondern der Romantik verdankt wird, und daß der Positivismus den gesund'en Realismus der Romantik zwar mehrfach weiter ausbaut, indessen leider auch zum Naturalismus verschlechtert. Wenn das Verdienst der Romantik um die Begründung des Realismus lange Zeit ignoriert worden ist, so liegt das zum erheblichen Teil daran, daß sie —woran wir nochmals erinnern möchten — deshalb als nicht realistisch angesehen wurde, weil die, die als Romantiker bezeichnet wurden, sich den politischen Forderungen der Mehrheit jener Zeit nicht fügten. 1 Daß man diesen Vorwurf gegen Simmel, bei aller Anerkennung- seiner Verdienste, erheben darf, wird jedermann zugestehen. Über G. Tarde bemerkt Krüger, Entwicklungspsychologie, S. 152: „Der Unbefangene kann nur staunen über die dialektische Gewandtheit, mit der Tarde es immer wieder fertig bringt, die allerverschiedensten, rein körperlichen, seelischen und gesellschaftlichen Phänomene einem und demselben Begriff, wie „Nachahmung“, einzuordnen, oder einem logizistischen Schema im schlechten Sinn des Hegelschen Dreitaktes, wie Répétition-Opposition-Adaptation. Des Rätsels Lösung ist, daß diese Begriffe höchst unbestimmt und dehnbar geblieben sind, weil sie nirgends psychologisch, geschweige genetisch-psychologisch, zergliedert wurden.“ — Zu den Vorstellungen, die man mit dem Wort „Soziologie“ verbindet, s. auch noch m. „Parteiamtl. neue Geschichtsauffassung“, S. 71.