Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

leugnete Prinzip der Hypothese unter anderem Namen wieder etngeführt L Überwiegend hat die deutsche Geschichtswissenschaft den Positivis­mus abgelehnt, und zwar nicht etwa in Unkenntnis oder Gleichgültig­keit und Interesselosigkeit, sondern im Bewußtsein ihrer Überlegenheit und des positivistischen Irrwegs. Kräftigen Widerspruch erhoben so Droysen, Haym, H. v. Sybel2. Es bleibt nur zu bedauern, daß die deut­schen Historiker nicht noch energischer, noch stolzer auf ihr schönes Erbe, das sie fortdauernd pflegten, daß sie nicht mit grenzenlosem Stolz den minderwertigen Leistungen der anspruchsvollen Neuerer entgegengetreten sind, nicht noch entschiedener geltend gemacht haben, daß das Gute, das sich bei den Neuerern fand, alter deutscher Besitz war. Wir begegnen leider mehrfach gegenüber dem positivistischen An­sturm einer halben Verzichtstimmung, einer gewissen „Demobilisie­rung der Geister“ (um an eine in anderm Zusammenhang von Trö lisch empfohlene Formel zu erinnern), die wie alle Lahmheiten dem Geg­ner den Einzug erleichtert. Comte, Buckle, Lamprecht, der Marxismus haben ihre Erfolge zu beträchtlichem1 Teil infolge der Halbheiten der Gegenseite erreicht3. Hier wollen wir von neuem daran erinnern, 1 Deutsche Literaturzeitung 1919, Sp. 315 f. (bemerkenswertes Urteil eines Vertreters der Naturwissenschaften). Vgl. Vierkandt, ebenda Sp. 993: die Schwächen der Universitäten hängen eng mit der Herrschaft des Positivismus zusammen. Die Selbsttäuschung, in der sich der Positivismus befindet, ist oft ge­schildert worden. Vgl. (zugleich gegen Tönnies; s. Weltw. Archiv, Bd. 16, S. 513 und 515) z. B. Ad. Menzel, Naturrecht und Soziologie, Festschrift zum 3Í. Deut­schen Juristentag (Wien 1912), S. 5 ff., S. 25: „Bei der Auswahl der Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung wirkt immer schon, wenn auch unbewußt, die Weltanschauung des Autors, seine politische und ethische Überzeugung in maß­g ebender Weise mit.“ S. 36 über die angeblich objektiv-wissenschaftliche Methode omtes. S. 37: „An Stelle der juristischen Metaphysik tritt bei Comte die histo­rische Konstruktion.“ S. 40 ff. über die Widersprüche bei Spencer, S. 55 über Gumplowicz und Ratzenhofer. Vgl. Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1914, S. 518 ff. 2 Um einen lehrreichen kleinen Zug zu erwähnen, so hat mich Sybel veran­laßt, eine Kritik der drei ersten Bände von Lamprechts Deutscher Geschichte zu schreiben, weil er es dringend wünschte, daß dessen Art energisch entgegen­getreten würde. Während mir der Widerspruch gegen die Unzuverlässigkeit der Darstellung im einzelnen zunächst das notwendige zu sein schien (sein „System“ hat Lamprecht ja erst im Laufe der Zeit bestimmter ausgebildet), richtete Sybel seinen Widerspruch von vornherein in erster Linie gegen die allgemeine Geschichtsauffassung Lamprechts. Den Abschnitt über die „materialistische und physiologische Geschichtsbetrachtung“ in der Histor.-Ztschr., Bd. 71, S. 466, hat er in meine Kritik eingeschoben. — Die Ablehnung Taines bei Sybel ist bewußter Art, Über Taine vgl. m. „Gescßichtsschreibung“ S. 75 u. 98. Daß der der histori­schen Rechtsschule angehörige CI. Th. Perthes in der Schilderung des Zu- ständlichen wissenschaftlich höher steht als Taine, wird man nicht bestreiten. 3 In Tröltsch’ Abhandlungen über den Positivismus und den Marxismus (s. über diese nachher) beobachtet man wiederuni etwas von jener „Demobili­sierung der Geister“. 0. Engel, Einflüsse Hegels auf Taine (1920), berücksichtigt

Next

/
Thumbnails
Contents